Kalkül mit Gefühl
Mal angenommen, Sie möchten heiraten und hätten zwei Kandidaten resp. Kandidatinnen in der engeren Auswahl: Der/die eine ist schön, aber arm, der/die andere ist reich, aber hässlich. Wem würden Sie das Jawort geben?
Immer wenn Verstand und Gefühl im Widerspruch sind, geraten wir in einen kaum lösbaren Konflikt. Keine Entscheidungsmatrix oder Pro- und Kontra-Liste kann uns aus dem Dilemma befreien. Solche Situationen sind gar nicht so selten und betreffen die verschiedensten Bereiche – von der Job-Wahl bis zur Entscheidung, wohin es in die Ferien geht. Die Wissenschaft geht davon aus, dass wir in 90% aller Fälle unserem Bauchgefühl folgen. Die rationalen Argumente werden einfach entsprechend unserer emotionalen Präferenz gewichtet oder grad ganz ignoriert.
Ist das nun schlecht, unprofessionell oder gar dumm, wenn wir uns den Fakten und der Vernunft verschliessen und uns stattdessen von Gefühlen aus der Mitte unseres Körpers leiten lassen?
In einer Studie haben die Ökonomen Luigi Guiso und Tullio Jappelli die Konten und Depots von rund 1800 Kunden einer italienischen Bank untersucht und festgestellt: Je mehr sich die Bankkunden über Geldanlagen informierten, desto schlechter war ihre Rendite.
Für den Neurowissenschaftler António R. Damásio ist das, was wir als Bauchgefühl bezeichnen, die Summe aller Erfahrungen, die ein Mensch im Laufe seines Lebens gesammelt hat. Dieses Erfahrungsgedächtnis teilt sich über ein körperliches Signalsystem mit, das dem Menschen bei der Entscheidungsfindung hilft. Bauchgefühle wirken oft unbewusst als Alarmzeichen oder starke Motivation. Die Signale helfen beim Denken, indem sie Alternativen – je nach individueller Erfahrung – als günstig oder gefährlich erscheinen lassen.
Das Bauchgefühl ist demnach eine umfassende, aber blitzschnell durchgeführte Abfrage der Lebenserfahrungs-Datenbank. Weil dieser höchst komplexe Vorgang rational kaum nachvollziehbar ist, erscheint er uns manchmal irgendwie unlogisch. In Wahrheit werden bei dieser als intuitiv empfundenen Entscheidungsfindung jedoch wesentlich mehr Kriterien berücksichtigt, als dies jede Pro- und Kontra-Liste jemals könnte. Natürlich kann uns auch das Bauchgefühl in die Irre führen. Wie zum Beispiel beim Kauf einer Hose, wenn uns die sympathische Verkäuferin ein Modell andreht, das wir bei nüchterner Betrachtung besser nicht gekauft hätten.
Wie ist das mit der weiblichen Intuition? Entscheiden Frauen eher intuitiv als Männer? Die Wissenschaft ist sich uneins, ob es geschlechterspezifische Unterschiede in der kognitiven und intuitiven Entscheidungsfindung gibt. Wahrscheinlich ist die weibliche Intuition ein Mythos. Ich gehe davon aus, dass die Persönlichkeit, die Lebensumstände und -erfahrung eher ausschlaggebend sind als das Geschlecht.
Unbestritten ist, dass die Werbung unsere intuitive Wahrnehmung beeinflusst. Sie kann Bekanntheit und Vertrautheit schaffen, die unser Hirn genauso wie echte Lebenserfahrungen abspeichert und bewertet. Wir glauben Firmen, Marken oder Produkte zu kennen, obwohl wir in Wahrheit nie mit ihnen in Kontakt gekommen sind. Müssen wir uns dann für ein Produkt entscheiden, werden wir dem vermeintlich Vertrauteren den Vorzug geben.
In Anbetracht der Erkenntnis, dass 90% aller Entscheidungen intuitiv getroffen werden, sollten eigentlich auch 90% der Kommunikationsbudgets in Image und Bekanntheit investiert werden und nur 10% in die rationale Argumentation. Doch im Daily Business erscheint uns das intuitiv irgendwie unlogisch.
Fredy Obrecht