Was Werber von der Bibel lernen können

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Was Werber von der Bibel lernen können

Vor ein paar Jahren brüskierte ich meine Freunde in einer fröhlichen Runde mit der Aussage, dass ich zumindest theoretisch in der Lage sei, eine völlig neue Bibel zu schreiben. Nachdem sie sich vom ersten Schreck erholt hatten, interpretierten sie meine Äusserung als Grössenwahn und Blasphemie. Natürlich habe ich weder Lust noch Zeit, so ein Buch zu schreiben, doch zum Kern meiner Aussage stehe ich noch heute.

Genau wie die Thora oder der Koran hat die Bibel in unserer Kultur auch ausserhalb der religiösen oder historischen Betrachtungsweise eine wichtige Aufgabe. Lange bevor Juristen Gesetze formulierten, definierten diese Dokumente die ethischen und moralischen Grundsätze der Kulturen, ohne die ein Zusammenleben in Gemeinschaften wohl kaum möglich wäre. So simpel uns die zehn Gebote erscheinen mögen, bis heute orientieren sich alle unsere geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze an diesen Grundsätzen. Die heutigen Gesetzbücher sind lediglich Präzisierungen von dem, was wir aufgrund der biblischen Vorgaben für rechtens erachten.

Das Bemerkenswerte an der Bibel ist, dass die Lebensregeln in Form von Geschichten vermittelt werden, um sie in einen nachvollziehbaren Zusammenhang einzubetten. Dadurch werden diese Regeln besser verstanden, erinnert und lassen sich weitererzählen. Alle Weltreligionen vermitteln ihre ethischen und moralischen Grundwerte in Form von Erzählungen. Hätte man die Bibel in der heute gebräuchlichen Juristensprache verfasst, gäbe es sicher kein Christentum. Ob die biblischen Geschichten auf historischen Wahrheiten basieren oder frei erfunden sind, ist übrigens völlig irrelevant. Die heute verwendeten Texte sind sowieso Übersetzungen von Übersetzungen von Übersetzungen, in die sicher jeder Übersetzer noch seine eigenen Vorstellungen interpretiert hat. Wichtig erscheint mir lediglich die in den Texten enthaltene Botschaft. Ein grosses Problem der heute praktizierten Bibelinterpretation ist, dass die beschriebenen Gegebenheiten nicht mehr in unsere Zeit passen und deshalb möglicherweise falsch oder gar nicht verstanden werden.

Das ist also die Erkenntnis, die mich damals zu der schockierenden Aussage veranlasste, die Bibel mit Beispielen aus unserer Zeit neu schreiben zu können – und dadurch die Verständlichkeit zu verbessern und Missinterpretationen zu reduzieren. Das Grundgerippe der Bibel bliebe natürlich erhalten, aber die Akteure und Schauplätze wären «aktualisiert». Z. B. würde ein Vertreter unserer Zeit die Rolle des barmherzigen Samariters einnehmen. Oder Sodom und Gomorrha wären durch entsprechende heutige Städte zu ersetzen. Auch für die Pharisäer liesse sich sicher eine vergleichbare Gruppierung finden.

Als Werber bin ich mir bewusst, dass die meisten meiner Werke – kaum sind sie fertig gestellt – zu Altpapier recycelt werden. Keine meiner Schöpfungen, und sei sie noch so genial, wird 2000 Jahre überdauern. Aber ich lerne aus dem Buch der Bücher, dass man alle Botschaften – auch schwierige und wenig erbauliche – einem grossen Zielpublikum vermitteln kann, wenn man sie in eine Geschichte verpackt. Darum ist es in der Unternehmenskommunikation sinnvoll, komplexe Inhalte als Case Histories oder unterhaltsame Stories zu kommunizieren.

Denn nur Geschichten, die sich weitererzählen lassen, haben das Potenzial, sich eigenständig zu verbreiten, zum Selbstläufer zu werden, der von Mund zu Mund oder innerhalb der Social-Media-Netzwerke als virale Kommunikation von alleine weitergetragen zu werden.

 

Fredy Obrecht

Spagat

Spagat

Hin und wieder gerate ich in eine Identitätskrise und bin geneigt, mich zwecks Selbstfindung samt Schweigegelübde für ein paar Monate in ein Kloster zurückzuziehen. Was bin ich eigentlich, Manager oder Künstler? Auf meinem etwas in die Jahre gekommenen eidgenössischen Diplom steht «Diplomierter Werbeleiter», auf der Anerkennungsurkunde der Schweizer Werbewirtschaft bin ich «Kommunikationsfachmann» und meine jüngeren Berufskollegen nennen sich «Kommunikationsleiter». Grafikerinnen können schöner zeichnen, Betriebswirtschafter genauer rechnen, Projektmanager besser mit Terminen umgehen und Sekretärinnen schneller tippen. Wozu braucht die Welt einen wie mich?

Auf Augenhöhe

So nebenbei bin ich natürlich auch Unternehmer. Meine diesbezügliche Erfahrung ist bei Gesprächen mit Führungskräften hilfreich, vor allem wenn es darum geht, ein Problem ganzheitlich anzugehen. Denn nicht immer, wenn man die Werbeagentur ruft, liegt das Kernproblem und somit die Lösung tatsächlich im Bereich der Unternehmenskommunikation. In diesen Fällen erlaube ich mir, eine Vorgabe zu hinterfragen oder eine unangenehme Frage zu stellen. Meine Gesprächspartner sollen merken, dass ich nicht nur befugt, sondern auch gewillt bin zu entscheiden. In meiner Rolle als Agenturchef und Unternehmer halte ich mich auch an den Kleiderkodex: Anzug und Krawatte.

Kreativer Spinner

Erscheine ich in Jeans und T-Shirt, fühle ich mich als Mann der tausend Ideen. Ich kann mit Worten spielen, alles verdrehen und verwandeln, im Kopf neue Bilder entstehen lassen und unverschämte Strategien formulieren. In dieser Rolle ist es mir egal, wie ich wahrgenommen werde. Mein Geist badet im Pool der Ideen und ich geniesse es, jede gute Idee durch eine noch bessere zu übertreffen. Ich fühle mich dabei wie ein Derwisch im Rausch seiner Pirouetten. In diesem Schöpfungsakt lasse ich mich weder von unzureichenden Budgets noch von Corporate Design-Manuals einschränken. Reduzieren und realisieren kommt später; das können andere Leute auch. Ich will in diesem Moment nur die Welt neu erschaffen.

Gegensätze

In «GDI Impuls», einer Publikation des Gottlieb Duttweiler Instituts, las ich kürzlich folgende Aussage: «Manager entspannen sich, wenn die Routine einkehrt. Künstler hingegen streben dann sofort nach einem Bruch.» Nach dieser Definition bin ich wohl eher in der Kategorie Künstler zu Hause. Und doch bin ich für einen Künstler vielleicht eine Spur zu sehr Realist und eine Spur zu wenig Idealist. Jedenfalls möchte ich meine Projekte nicht nur in die Welt setzen, sondern auch wachsen sehen, sie durch die Realisationsphase begleiten. Kreativität nach dem Prinzip «l’art pour l’art» liegt mir nicht. Was ich mache, muss nachvollziehbar zielgerichtet sein und dazu beitragen, die unternehmerischen Ansprüche der Kunden zu erfüllen.

Brückenfunktion

Kein eindeutiger Künstler, kein Vollblutmanager. Was dann? Ich bin der, mit dem der Manager über Kostendeckungsbeiträge diskutiert und mit dem der Designer die perfekte Ästhetik sucht. Ich bin der, der mit dem Regisseur eine Dramaturgie entwickelt, der dem Texter das Wesentliche erklärt und der mit dem Mediaspezialist die Kontaktqualität untersucht. Ich bin einfach der, der zuhören und interpretieren kann. Ich schlage die Brücke zwischen verschiedenen Disziplinen, bin Übersetzer und Mediator zwischen den Fachkulturen und definiere das gemeinsame Ziel.

In einer Welt, in der sich immer mehr Spezialisten in immer kleineren Nischen perfektionieren, braucht es jemanden, der alle Teile wieder zu einem Ganzen zusammenfügt. Nur dann gibt es nach getaner Arbeit das, was der Kunde möchte: erfolgreiche Werbung!

 

Fredy Obrecht

Sex sells

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Sex sells

Männer reagieren stark auf visuelle sexuelle Reize. Egal ob sie das wollen oder nicht, sie können einfach nicht anders. Die Natur hat die männlichen Hirne so programmiert. Was liegt also näher, als Werbebotschaften in einem sexuellen Kontext zu präsentieren und somit diesen Effekt auch in der Werbung zu nutzen?

Alles ist relativ

Google veröffentlicht jährlich eine Hitparade der beliebtesten Suchwörter. Google verschweigt jedoch sämtliche Suchbegriffe, die sich um die Themen Erotik und Pornografie drehen. Sonst würde in den meisten Kategorien «Sex» an oberster Stelle stehen. Trotz Aufklärung und Sturm auf die letzten Tabus tun wir uns im Umgang mit der Darstellung von Sexualität auch heute noch schwer. Einerseits will man in den Schulen den Sexualunterricht verbieten, andererseits hat jeder Teenager Zugang zum Internet und kann problemlos pornografische Bilder und Filme anschauen. Konservative Kreise laufen Sturm gegen jeden blanken Hintern oder Brüste auf Werbeplakaten, gleichzeitig präsentiert man der Bundespräsidentin an der Olma stolz den Bauernkalender mit Bildern von spärlich bekleideten Jungbäuerinnen in eindeutigen Posen. Und da sind ja auch noch die Misswahlen: Jährlich wird eine Miss Schweiz als Reinkarnation der Helvetia gewählt. Natürlich vor allem wegen ihrer Ausstrahlung und Intelligenz, nicht etwa weil sie im Bikini sexy aussieht.

«Sexismus»
Selbstverständlich ist auch die Darstellung von Sexualität in der Werbung geregelt. Nach den Grundsätzen der Lauterkeitskommission ist Geschlechter diskriminierende Werbung unlauter und somit verboten, wenn unter anderem eine unangemessene Darstellung von Sexualität vorliegt. Der Begriff «unangemessen» suggeriert, dass man die Angemessenheit messen kann, was natürlich Unsinn ist. Was unsittlich ist, entscheiden der Zeitgeist und das subjektive Empfinden. Interessant ist, dass man im Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb UWG vergeblich nach einer Definition betreffend sexistische Werbung sucht. Der Schutz der Bevölkerung vor sexistischer Werbung ist also Sache der Kantone und Gemeinden.

Die Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich liefert folgende Definition für sexistische Werbung: «Werbung ist dann sexistisch, wenn sie ein Geschlecht, meistens die Frau, in traditionell beschränkter Funktion, als sexuell verfügbares Wesen oder nur mit stereotypen Eigenschaften darstellt; wenn sie Körper oder Körperteile wie Hintern und Brüste als Blickfang einsetzt und so voyeuristische Instinkte bedient. Ausschlaggebend ist dabei der Gesamteindruck, den eine Werbung vermittelt.» Die Fachstelle kritisiert nicht nur bildliche Darstellungen, sondern auch textliche Beschreibungen wie etwa die Headline: «Es gibt Männer, die tausende von Frauen glücklich machen: unsere Goldschmiede.» Was diese Fachleute nicht verstanden haben, ist, dass die Werbung diese Stereotypen nicht kreiert, sondern sich ihrer lediglich bedient, um Botschaften zu vereinfachen.

Frau ist anders

Auch Frauen reagieren auf visuelle sexuelle Reize. Im Gegensatz zu heterosexuellen Männern, die ausschliesslich auf weibliche Darstellungen reagieren, sprechen Frauen  sowohl auf weibliche wie auf männliche Darstellungen an. Ich kann mir das nur so erklären, dass Männer den schönen Mann als potenziellen Rivalen ablehnen, während Frauen die schöne Geschlechtsgenossin als anzustrebendes Vorbild interpretieren.

Sex schafft Aufmerksamkeit

Werbung braucht Aufmerksamkeit und diese ist bei der Zielgruppe Männer im sexuellen Zusammenhang so gut wie garantiert. Eigentlich erstaunlich, dass nicht mehr hüllenlose Schönheiten von den Plakatwänden schmachten. Der Anteil der Beanstandungen bei der Schweizerischen Lauterkeitskommission wegen Sexismus ist von 13.5% (2008) auf 4.1% (2010) gesunken. Dieser Rückgang ist nicht damit erklärt, dass die konservativen oder feministischen Organisationen des Reklamierens müde geworden wären. Sex wird tatsächlich weniger als Aufmerksamkeitsfänger eingesetzt. Der Grund ist relativ einfach und logisch: Der starke Reiz geht auf Kosten der Erinnerung der eigentlichen Botschaft. Man(n) erfreut sich am sexy Girl so sehr, dass er alles andere schlicht nicht mehr wahrnimmt. Die Kunst besteht darin, die richtige Dosis zu finden und das gewonnene Interesse in die entsprechende Richtung zu lenken. Das funktioniert am besten, wenn Erotik oder Sinnlichkeit mit dem Produkt in Verbindung stehen wie zum Beispiel bei Mode, Kosmetik oder Wellness. Nicht alle Männer sind so testosterongesteuert, dass sie bei einer allzu plumpen, lüsternen Darstellung nicht merken, dass man sie auf billige Weise ködern will. Deshalb kann aus der anfänglichen Aufmerksamkeit auch Ablehnung entstehen und das Unternehmen riskiert, sich ein kontraproduktives Schmuddel-Image einzuhandeln.

Sinnliche Werbung

In der Recherche zu diesem Text habe ich mit Beruhigung festgestellt, dass die grosse Mehrheit der wegen Sexismus beanstandeten Werbemittel offensichtlich dumm und plump, also einfach nur schlecht gemachte Werbung ist. Als Werber sorge ich mich weniger um den Erhalt der Sittlichkeit in unserer Gesellschaft, als um die Fragestellung, wieso ein Auftraggeber so etwas absegnet und bezahlt! Werbung muss und darf Emotionen wecken und provozieren. Wenn Erotik das geeignete Mittel ist, habe ich keine Hemmungen, diese auch einzusetzen.

Und noch eine Bemerkung nebenbei: Die Sitten- und Gleichstellungswächter werden allzu oft zu Gehilfen derjenigen, die sie anklagen. Eine Headline wie «Regierungsrat verbietet Plakat» ist Gold wert. Mit etwas Glück liefert man damit gleich noch das Thema zur dienstäglichen Diskussionssendung im Schweizer Fernsehen. Benetton und andere haben es vorgemacht und gezeigt, wie man mit systematischer Provokation zu phänomenaler Markenbekanntheit kommt.

 

Fredy Obrecht

Kalkül mit Gefühl

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Kalkül mit Gefühl

Mal angenommen, Sie möchten heiraten und hätten zwei Kandidaten resp. Kandidatinnen in der engeren Auswahl: Der/die eine ist schön, aber arm, der/die andere ist reich, aber hässlich. Wem würden Sie das Jawort geben?

Immer wenn Verstand und Gefühl im Widerspruch sind, geraten wir in einen kaum lösbaren Konflikt. Keine Entscheidungsmatrix oder Pro- und Kontra-Liste kann uns aus dem Dilemma befreien. Solche Situationen sind gar nicht so selten und betreffen die verschiedensten Bereiche – von der Job-Wahl bis zur Entscheidung, wohin es in die Ferien geht. Die Wissenschaft geht davon aus, dass wir in 90% aller Fälle unserem Bauchgefühl folgen. Die rationalen Argumente werden einfach entsprechend unserer emotionalen Präferenz gewichtet oder grad ganz ignoriert.

Ist das nun schlecht, unprofessionell oder gar dumm, wenn wir uns den Fakten und der Vernunft verschliessen und uns stattdessen von Gefühlen aus der Mitte unseres Körpers leiten lassen?

In einer Studie haben die Ökonomen Luigi Guiso und Tullio Jappelli die Konten und Depots von rund 1800 Kunden einer italienischen Bank untersucht und festgestellt: Je mehr sich die Bankkunden über Geldanlagen informierten, desto schlechter war ihre Rendite.

Für den Neurowissenschaftler António R. Damásio ist das, was wir als Bauchgefühl bezeichnen, die Summe aller Erfahrungen, die ein Mensch im Laufe seines Lebens gesammelt hat. Dieses Erfahrungsgedächtnis teilt sich über ein körperliches Signalsystem mit, das dem Menschen bei der Entscheidungsfindung hilft. Bauchgefühle wirken oft unbewusst als Alarmzeichen oder starke Motivation. Die Signale helfen beim Denken, indem sie Alternativen – je nach individueller Erfahrung – als günstig oder gefährlich erscheinen lassen.

Das Bauchgefühl ist demnach eine umfassende, aber blitzschnell durchgeführte Abfrage der Lebenserfahrungs-Datenbank. Weil dieser höchst komplexe Vorgang rational kaum nachvollziehbar ist, erscheint er uns manchmal irgendwie unlogisch. In Wahrheit werden bei dieser als intuitiv empfundenen Entscheidungsfindung jedoch wesentlich mehr Kriterien berücksichtigt, als dies jede Pro- und Kontra-Liste jemals könnte. Natürlich kann uns auch das Bauchgefühl in die Irre führen. Wie zum Beispiel beim Kauf einer Hose, wenn uns die sympathische Verkäuferin ein Modell andreht, das wir bei nüchterner Betrachtung besser nicht gekauft hätten.

Wie ist das mit der weiblichen Intuition? Entscheiden Frauen eher intuitiv als Männer? Die Wissenschaft ist sich uneins, ob es geschlechterspezifische Unterschiede in der kognitiven und intuitiven Entscheidungsfindung gibt. Wahrscheinlich ist die weibliche Intuition ein Mythos. Ich gehe davon aus, dass die Persönlichkeit, die Lebensumstände und -erfahrung eher ausschlaggebend sind als das Geschlecht.

Unbestritten ist, dass die Werbung unsere intuitive Wahrnehmung beeinflusst. Sie kann Bekanntheit und Vertrautheit schaffen, die unser Hirn genauso wie echte Lebenserfahrungen abspeichert und bewertet. Wir glauben Firmen, Marken oder Produkte zu kennen, obwohl wir in Wahrheit nie mit ihnen in Kontakt gekommen sind. Müssen wir uns dann für ein Produkt entscheiden, werden wir dem vermeintlich Vertrauteren den Vorzug geben.

In Anbetracht der Erkenntnis, dass 90% aller Entscheidungen intuitiv getroffen werden, sollten eigentlich auch 90% der Kommunikationsbudgets in Image und Bekanntheit investiert werden und nur 10% in die rationale Argumentation. Doch im Daily Business erscheint uns das intuitiv irgendwie unlogisch.

 

Fredy Obrecht

Achtung lustig!

Achtung lustig!

In einer Studie wurde 100’000 Frauen aus über 50 Ländern eine Liste mit 23 männlichen Eigenschaften vorgelegt. Die Frauen sollten diese Eigenschaften nach der Relevanz bei der Partnerwahl bewerten. Mehr als die Hälfte nannte «Humor» als wichtigste Eigenschaft ihres (potenziellen) Partners. Gute Laune ist ansteckend und Humor kann sogar heilen. Längst hat sich auch die Wissenschaft mit dem Phänomen Humor beschäftigt. Man weiss, dass Humor Schmerzen lindert und die Stresshormone Adrenalin und Kortisol senkt. Offenbar sitzt die Humorwahrnehmung in unserem Gehirn im linken frontalen Kortex. Erkenntnisse, die mir als Werber nicht wirklich weiterhelfen.

Spannender finde ich die Zusammenhänge von Werbewirkung und Humor. Unbestritten ist, dass mit Humor höhere Aufmerksamkeit und Sympathie erzeugt werden können. So dürfte man eigentlich davon ausgehen, dass immer mehr humorvolle Werbung kreiert wird. Die Studie in einer deutschen Zeitschrift zeigt jedoch einen gegenteiligen Trend. Viele Unternehmen möchten wohl eher mit sachlicher, seriöser Information wahrgenommen werden.

Nach herkömmlicher Meinung ist Humor für Unternehmen wie Banken, Versicherungen, teure Gebrauchs- und Investitionsgüter tabu. Die Kampagne der «Mobiliar» mit den Schadenskizzen zeigt aber, dass es trotzdem funktionieren kann.

Ein anderes Beispiel: Wir hatten den Auftrag, für die Zielgruppe junge Spitalärztinnen und -ärzte ein Mailing mit Versicherungsangeboten zu konzipieren. Die Antwortkarte kombinierten wir mit einem Wettbewerb, der aus mehreren Fragen bestand, die in etwa so lauteten: «Was ist der «Numerus clausus»? A – Ansammlung mehrerer Samichläuse? B – Claudias Telefonnummer? C – …» und so weiter. Trotz Bedenken des Kunden, ob dieser Kommunikationsstil für Versicherungen und die als äusserst ernst- und gewissenhaft bekannte Zielgruppe geeignet sei, liess man uns gewähren. Der Rücklauf der Antwortkarten war phänomenal und zahlreiche Ärztinnen und Ärzte hatten sich sogar die Mühe gemacht, die Karte mit eigenen kreativen Nonsens-Antworten zu ergänzen. Trotz dieser lockeren Stimmung wurden gleichzeitig Offerten zu den (seriösen) Versicherungsprodukten angefordert. Aus früheren Untersuchungen weiss man, dass Humor zwar die Erinnerung an die Werbung ver-bessert, aber nicht unbedingt an das Produkt und seine Eigenschaften. Das heisst, man kennt zwar den Witz, weiss aber nicht mehr, wer der Absender ist. Ausserdem ist Humor eine Gratwanderung zwischen Geschmack und Geschmacklosigkeit, denn Werbewirkung erzeugt man nicht allein mit dem Kriterium Aufmerksamkeit. Mein Horror-Beispiel ist «Margrit», ein als Frau verkleideter Komödiant, der uns auf tuntenhafte Art Maggi-Produkte schmackhaft machen will. In meinen Augen so peinlich, dass mir der Appetit vergeht und für mich die Grenze zur Geschmacklosigkeit überschritten wird.

Trotzdem kann man sagen, was guter Humor beinhalten sollte: eine Überraschung, eine unerwartete Wendung und eine Logik, die man erst auf den zweiten Blick durchschaut. Diese Erkenntnis offenbart einen weiteren Haken bei lustiger Werbung. Der Überraschungseffekt funktioniert nur beim ersten Mal. Bekommt man einen Witz immer und immer wieder erzählt, schlagen Sympathie und Aufmerksamkeit ins Gegenteil um. Für repetitive Kampagnen mit immer der gleichen Geschichte sind humorvolle Ansätze deshalb weniger geeignet.

Wer auf YouTube nach «funny commercials» sucht, bekommt fast 40’000 Treffer. Die Spitzenreiter sind über 20 Millionen Mal aufgerufen worden. Millionen Leute suchen und schauen Werbung und posten sie auf Facebook an ihre Freunde – freiwillig! Humor ist also eine wichtige Triebfeder für virales Marketing. Weil die Ansprüche dieses abgehärteten Publikums an den Gag entsprechend hoch sind, werden mittlerweile eigens für diesen Kanal Spots mit deutlich stärkerem Impact produziert. Die grösste Gefahr bei der Konzipierung lustiger Werbung sehe ich in der Versuchung, den guten Witz vor das Produkt zu stellen. Dem Grundsatz, dass immer das Produkt resp. die Werbebotschaft der Star des Auftrittes sein muss, ist bei humorvoller Werbung besondere Beachtung zu schenken.

Und weil es ja ein Witz wäre, einen Text über Humor zu schreiben, ohne einen Witz zu erzählen, präsentiere ich den folgenden Werbewitz, den ich übrigens von niemand Geringerem als Polo Hofer gehört habe: Ein Mann kommt am Ende seines irdischen Daseins in den Himmel. Petrus begrüsst ihn freundlich und weist ihn an, auf einer Wolke Platz zu nehmen und Harfe zu spielen. Tag für Tag sitzt er nun auf der gleichen Wolke und sorgt für sphärische Klänge. Nach einiger Zeit kommt Langeweile auf und der Neu-Engel wagt einen Blick nach unten in die Hölle. Er staunt nicht schlecht, dort gibt’s Barbecue, der Alkohol fliesst in Strömen, Männer und Frauen geben sich hemmungslos der Lust hin und anstelle der himmlischen Harfenklänge ertönt lauter Rock n‘ Roll.

Der Mann wendet sich an Petrus und fragt, ob es möglich sei, nachträglich noch in die Hölle zu wechseln. Petrus bejaht diese Anfrage, macht aber gleichzeitig darauf aufmerksam, dass es kein Zurück mehr gibt. Vor die Wahl gestellt, entweder ewige Harfenklänge oder Party ohne Ende, entschliesst sich der Mann für die Hölle. Unten angekommen schickt ihn Luzifer schnurstracks in den Heizungskeller zum Kohle schaufeln. Empört macht der Neuankömmling darauf aufmerksam, dass er eher Sex, Drugs und Rock n‘ Roll erwartet habe. Des Teufels Antwort: «Sorry, aber das ist nur unsere Werbeabteilung.»

Sie kennen auch einen Werbewitz? Dann schicken Sie ihn mir, vielleicht mache ich bei Gelegenheit einen Werbewitz-Newsletter.

 

Fredy Obrecht

Shopping als Hobby

Shopping als Hobby

Es gab einmal eine Zeit, da waren die Stadtzentren noch Einkaufsstrassen. Kaufhäuser und Fachgeschäfte präsentierten ihre Waren in sorgfältig drapierten Schaufenstern. Der Schaufenster-bummel war eine beliebte Freizeitbeschäftigung – auch nach Ladenschluss. Eine Gelegenheit, sich unverbindlich, auch mit leerem Portemonnaie, über Mode- und andere Trends zu informieren. Einkaufen ging man erst, wenn ein Bedarf und das nötige Kapital vorhanden waren. Heute haben es die Ladenstrassen schwer, sich gegenüber Shoppingmeilen mit Autobahnanschluss zu behaupten. Keine garstige Witterung bremst die Kauflust. Fast Food und Unterhaltungsangebote sorgen dafür, dass weder Hunger noch Langeweile aufkommen.

Diese Entwicklung ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: «Shopping» ist kein Einkauf zur Beschaffung irgendwelcher benötigter Güter, sondern entsteht aus dem Bedürfnis nach dem (Einkaufs-)Erlebnis. Keine Schaufensterscheibe trennt den Konsumenten mehr vom Laden. Die modernen Geschäfte in den Einkaufszentren sind so etwas wie begehbare Schaufenster. Kaum ein Besucher eines Shoppingcenters wird mit dem Einkaufszettel in der Hand aufkreuzen. Im Gegenteil: Die permanente Verführung ist Teil des Spiels.

Wieso mögen die Menschen Einkaufszentren? Warum gehen sie einkaufen, obschon sie gar nichts brauchen? Wieso bezeichnen so viele junge Leute «Shoppen» als bevorzugte Freizeitbeschäftigung? Einkaufszentren werden nicht als Geschäftsareal, sondern als öffentlicher Raum empfunden. Einkaufszentren sind so etwas wie die Marktplätze und Bazare aus den Anfängen unserer Handelskultur. Strassen waren Aufenthaltsorte und nicht Verkehrswege. Auf grossen Plätzen wurde produziert, gehandelt und lamentiert, nicht parkiert. So gesehen ersetzen Shopping-Malls die abhandengekommenen Räume, die uns früher für unsere sozialen Kontakte und unser Erwerbsleben wichtig waren. Dort zu sein, wo die anderen sind, ist ein starkes menschliches Bedürfnis.

Über die zahlreichen Shoppingcenter zu schimpfen, ist irgendwie zu einfach. Ob diese Konsumtempel in den Agglomerationen ihre Berechtigung haben oder ob der Einkauf im Dorfladen attraktiver und sinnvoller ist, entscheiden die Konsumenten tagtäglich mit ihrem Einkaufsverhalten. Demokratie in Vollendung also. Road Pricing, weniger Parkplätze und höhere Parkgebühren in den

Städten sowie Beschränkungen im Parkplatzangebot in den Shoppingcentern werden das Einkaufs- und Freizeitverhalten der Konsumenten kaum ändern. Wer Quartierläden und Ladenstrassen in den Städten erhalten oder wieder aufleben lassen will, muss den Konsumenten den gewünschten Erlebnis- und Service-Mehrwert anbieten. Marketing statt Restriktionen – wie wäre das?

 

Fredy Obrecht

Die zündende Idee

Die zündende Idee

Alle Werbeagenturen werben mit ihrer Kreativität. Offenbar ist Kreativität ein knappes Gut, das sich bestens verkaufen lässt. Nach meiner Erfahrung holt man sich als Agentur mit Kreativität tatsächlich neue Mandate – erhalten lassen sich die Kunden aber mittelfristig eher mit einer zuverlässigen Administration. Doch wie erkennt man kreative Werbung? Ist Kreativität in erster Linie das Produkt ideenreicher Grafiker? Ist eine zündende Idee ein Zufallsprodukt oder kann man geniale Ideen auch erarbeiten? Die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte.

Um zu überprüfen, ob eine Idee Potenzial hat, stelle ich mir meist vier einfache Fragen:

1. Ist die Idee aussergewöhnlich?
Wenn die Idee auch von meiner Coiffeuse stammen könnte, ist sie zu naheliegend. Die Chancen sind in diesem Fall gross, dass jemand anderes vor mir diese Idee auch schon hatte. Sicherheitsnadeln für «Sicherheit» und Regenschirme für «Schutz» verdienen es also nicht, als «Idee» bezeichnet zu werden, hier fehlt die Eigenständigkeit. Alles Branchenübliche ist ebenflalls langweilig und trägt kaum zur Profilierung bei.

2. Ist die Idee zitierbar?
Eine Idee kann man beschreiben. Sie erzählt eine Geschichte, die man ausschliesslich in Worten wiedergeben kann. Wenn das nicht gelingt, ist die Idee wahrscheinlich nicht ausreichend dramatisch, eigenständig und verständlich.

3. Ist die Idee erinnerbar?
Es gibt Werber, die haben neben ihrem Bett immer einen Notizblock griffbereit, auf dem sie in schlaflosen Nächten ihre genialen Einfälle notieren können. Ich halte nichts von dieser Methode. Ich vertraue auf den Filter des Vergessens. Nur wenn ich mich am nächsten Morgen noch an die Idee erinnern kann, ist sie stark genug.

4. Ist die Idee adaptierbar?
Schliesslich unterscheidet sich die gute von der grandiosen Idee darin, dass sie das Potenzial zu einer Kampagne hat. Lässt sich die Idee in allen Medien vom TV-Spot über Plakate und Inserate bis zum Internet umsetzen? Kann in den Folgejahren basierend auf dieser Idee
noch eine weitere Serie drauf gesetzt werden?

Wenn Sie nun vier Mal mit Ja geantwortet haben, sind die Chancen gut, dass es sich bei Ihrem Geistesblitz um eine Idee handelt, die das Prädikat «kreativ» verdient.

Ideenfindung braucht Zeit

Nun, wie entstehen gute Ideen? Nur selten fliegen einem die Ideen einfach zu. Leider. Ideen lassen sich erarbeiten, doch viel Fleiss und Disziplin ergeben kaum jemals wirklich umwerfende Resultate. Das viel gelobte «Brainstorming» ist nach meiner Erfahrung auch keine brauchbare Technik. Die besten Ergebnisse erziele ich mit folgender Methode: Ich lasse mehrere Fachleute in unserer Agentur (Gestalter, Berater) unabhängig voneinander nach Ideen suchen. Ein paar Stichworte sollten ausreichen, um eine Idee zu beschreiben. Gelingt das nicht, ist die Idee es nicht wert, weiter verfolgt zu werden. Ideenfindung braucht vor allem Zeit. Inkubationszeit. Die Idee muss heranreifen, man muss mit ihr schwanger gehen und sie im Geiste immer konkreter ausformulieren. Wenn sich die «Macherlaune» einstellt, dann entsteht die Idee oft bei den seltsamsten Gelegenheiten – jedenfalls bei mir. Beim Rasenmähen, auf der A1 zwischen Bern und Zürich oder unter der Dusche. Das alles geschieht, lange bevor ein erstes Layout gestaltet wird. Schöne Layouts sind in dieser Phase eher gefährlich, denn sie sind so was wie Mogelpackungen und tarnen unausgereifte Ideen durch schöne Kleider.

Fazit: Für gute Ideen braucht es Werbefachleute, die sich auf ein Thema einlassen, sich nicht mit dem erstbesten Einfall zufrieden geben und den Mut haben, Neuland zu betreten. Diese kreativen Köpfe scheuen auch den Aufwand nicht, beim Kunden Überzeugungsarbeit zu leisten.

Fredy Obrecht

Unwörter

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Unwörter

Betriebsratsverseuchter Analogkäse mit Klimakompensation

Sprache ist verbunden mit Assoziationen. Sprache ist subjektiv. Sprache entwickelt sich mit der Gesellschaft und nimmt gesellschaftsrelevante Themen auf. So entstehen neben neuen Wörtern auch «Unwörter». Unwörter – schon ein Unwort für sich! Jedes Jahr küren Sprachwissenschaftler in Deutschland, Österreich und der Schweiz neben dem Wort des Jahres auch das Unwort des Jahres ihres Landes.

Das Unwort des Jahres bezieht sich auf ein viel diskutiertes Thema, ein Ereignis oder ein Phänomen und bezeichnet «unschöne oder unerwünschte Wörter und Formulierungen aus der öffentlichen Sprache, die sachlich grob unangemessen sind und möglicherweise sogar die Menschenwürde verletzen». Nicht selten haftet ihnen ein sarkastischer Unterton an. Interessant ist die Tatsache, dass in den drei deutschsprachigen Ländern im selben Jahr verschiedene Unwörter kursieren. Während es in Deutschland 2010 alternativlos, 2009 betriebsratverseucht und 2008 die notleidenden Banken ganz oben auf die Hitliste schafften, waren es in Österreich die Begriffe humane Abschiebung, Analogkäse und Gewinnwarnung und in der Schweiz Ventilklausel, Europhorie und Klimakompensation. Haben Sie sich schon mal Analogkäse aufs Brot geschmiert? Oder einer notleidenden Bank finanziell unter die Arme gegriffen? Oder mit einer Ventilklausel Ihre Heizung entlüftet? Das ist natürlich alles Blödsinn. Allerdings ist es nicht immer einfach zu erraten, was diese Begriffe alles beinhalten, vor allem wenn man die Diskussionen nicht mitverfolgt hat. Der Analogkäse ist insofern unsinnig und irreführend, da Analogkäse alles enthält, nur eben keinen Käse.

Der Begriff notleidende Banken stellt das Verhältnis von Ursachen und Folgen der Weltwirtschaftskrise auf den Kopf und macht die Banken zu Opfern ihrer eigenen Taten. Die Ventilklausel ist eigentlich eine Schutzklausel und betrifft die uneingeschränkte Personenfreizügigkeit, die im Rahmen der bilateralen Verträge ausgehandelt worden ist und (befristet) die Regulierung des Zustroms von Arbeitskräften aus der EU in die Schweiz erlaubt.

Sie sehen: Unwörter sind genial. Statt sich seitenlang über ein Thema auszulassen, reicht ein einziger Begriff oder eine kurze Formulierung, um auf den Punkt zu bringen, was uns monatelang beschäftigt. Unwörter sind Kreativität pur: Herdprämie, Klimakompensation, Rentnerschwemme – der Fantasie sind da wirklich keine Grenzen gesetzt. Unwörter sind aber auch makaber: Humane Abschiebung, erweiterter Selbstmord, sozialverträgliches Frühableben sind Begriffe, die den unangenehmen Inhalt einer Aussage beschönigen und verschleiern. Und schliesslich sind Unwörter widersprüchlich und unsinnig, wie das Beispiel Negativzuwanderung zeigt. Wie kann eine Zuwanderung, also eine Zunahme, negativ sein? Nur wenn man etwas anderes meint, als man sagt, in diesem Fall also eher an eine Abwanderung unerwünschter Personen oder eine negative Form der Zuwanderung denkt.

Unwörter werden zu einer Chronologie, einem historischen Abriss der Themen, die uns in den vergangenen Jahren beschäftigt haben. Es macht Spass, die alten Listen durchzugehen, über die unsinnigen Wörter zu schmunzeln und sich gleichzeitig daran zu erinnern, was uns denn damals so beschäftigt hat. Und ja, nicht selten wird aus dem Schmunzeln ein nachdenkliches Stirnrunzeln.

 

Franziska Fausch
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Franziska Fausch arbeitet als freischaffende Lektorin für Publix.

Leidenschaft

Leidenschaft

Kommunikationsfachleute üben ihren Beruf mit viel Leidenschaft aus. Das gilt ganz besonders für die Werber des 21. Jahrhunderts. Früher genügte es, Waschmittel mit dem Attribut «sauber» oder «weiss» zu verbinden, Schokolade mit «süss» und Autos mit «zuverlässig» oder «sicher». Heute braucht es deutlich mehr, als die offensichtlichen oder bekannten Eigenschaften eines Produktes oder einer Dienstleistung zu kommunizieren und endlos zu repetieren. Die meisten Produkteigenschaften sind schlicht langweilig und bieten den potenziellen Konsumenten keine Hilfestellung bei der Qual der Wahl. Mit der stetig zunehmenden Auswahl an Produkten mit identischen Eigenschaften steigern sich die Wortschöpfungen und Anglizismen in der Werbung ins Unermessliche.

Ich zweifle keine Sekunde daran, dass dafür nicht nur Leidenschaft, sondern sogar Inbrunst nötig ist.  Denn ob Wimpern nun mittels Telescopic Explosion auf unnatürliche Länge ausgefahren werden, ob ein bestimmtes Waschpulver sogar von den Waschmaschinen geliebt oder ein Make-up mit Instant Anti-Age angepriesen wird: Diese überspitzten Wortspielereien und zum Teil hochdramatischen Kombinationen von Produktanwendung und -effekt verlangen echte Hingabe und viel, sehr viel Aufwand. Das beeindruckt mich wahrscheinlich am meisten, denn ich bin immer wieder überrascht, wie viel Geld Werbeauftraggeber bereit sind, in unaussprechliche Off-Texte und grotesk übertriebene Ergebnisse der Produkteanwendungen zu investieren – idealerweise noch fantasievoll gepaart mit prominenten Persönlichkeiten. Und das alles nur, um dann einer von vielen in dieser Produktegruppe zu sein. Einer von so vielen, dass die Zielgruppe schon kurz nach dem Spot nicht mehr genau weiss, ob es nun Maybelline, L’Oréal oder Caran d’Ache gewesen ist.

Wie sagte doch der Zukunftsforscher Matthias Horx so treffend: «Viele Produkte entlasten uns nicht, sie nerven. Sie machen unser Leben komplizierter, statt uns kreativer zu machen.» Genau! Zurück zum Ursprung, zurück zur Einfachheit, zurück zur Echtheit. Hochkarätige Produkte (und damit ist nicht nur Schmuck gemeint) lösen echte Leidenschaft aus. Dieses Gefühl muss nur noch in die Kommunikation übernommen werden. Die grosse Kunst dabei ist, das Gefühl so ursprünglich wie möglich zu belassen und darauf zu vertrauen, dass die Zielgruppe das richtige Gespür dafür haben wird.

Insgesamt trauere ich vergangenen Zeiten nicht nach, sehr wohl aber einzelnen, herausragenden Unternehmerpersönlichkeiten, die für Beratung immer sehr empfänglich gewesen sind, nie mit kritischen Fragen gegeizt, dafür aber immer klare Entscheidungen getroffen haben. Und das notabene, ohne sich vorher mit der gesamten Marketing- und Verkaufsabteilung in demokratischer Weichspülmanier zu einigen. Nichts gegen Fakten und Zahlen, nichts gegen Regeln und Erkenntnisse aus Marktdaten und Medienleistungen. Aber alle diese Feststellungen sind nur Grundlagen. Ohne Scharfblick, Bauchgefühl und Enthusiasmus führen sie lediglich zum selben Ergebnis wie bei allen anderen Marktteilnehmern auch.

Darum vermisse ich manchmal den Mut zur Einfachheit. Wann ist diese Kühnheit verloren gegangen? Ist nicht sie es, die es ermöglicht, dass unsere Arbeit den Auftraggebern tatsächlich dabei behilflich ist, Ziele zu erreichen, Veränderungen zu bewirken und sich von der Menge abzuheben? Nun ja, ich bin noch ein wenig zu jung, um schon von den guten alten Zeiten zu schwärmen. Ich bin aber definitiv alt genug, um zu wissen, dass teleskopisch ausfahrbare Wimpern weder Leidenschaft wecken noch einen wirklichen Unterschied machen.

Mit ursprünglichen Grüssen

 

Yvonne Obrecht

 

PS: Falls Sie mit den zunehmenden Anglizismen kämpfen, habe ich noch einen guten Tipp: Vater Staat übersetzt für Sie – konsultieren Sie vertrauensvoll: https://www.bk.admin.ch/bk/de/home/dokumentation/sprachen/hilfsmittel-textredaktion.html

Revolution in vollem Gang

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Revolution in vollem Gang

Markt ist, wenn sich mehrere Anbieter im Wettbewerb mit Preis und Leistung um Kunden bemühen. Damit ein Markt entstehen kann, braucht es Markttransparenz. Diese mit den Mitteln der Kommunikation herzustellen, ist eine der Aufgaben des Marketings.

In der klassischen Marketingkommunikation war es bisher so, dass wir Werber entscheiden konnten, wer Zielgruppe ist und über welche Werbemittel diese mit unseren Botschaften in Kontakt kommen soll. Eine gute Mediastrategie zeichnete sich unter anderem dadurch aus, dass sie möglichst wenige Kontakte ausserhalb der Kernzielgruppe, sogenannte Streuverluste, produzierte. Aber eben – das war gestern.

Heute haben wir das Internet und mündige, gut informierte Konsumenten. Nach einer vom Bundesamt für Statistik publizierten Erhebung nutzen mittlerweile über 80% der Bevölkerung in der Schweiz das Internet regelmässig. Die ältere Generation und Frauen im Allgemeinen sind dabei, ihren Rückstand bezüglich Internetnutzung aufzuholen. Hochschulabsolventen und Wohlhabende nutzen das Internet sogar zu über 90%. Fast 70% der Schweizer holen sich im Internet Reiseinformationen. Rund 15% nutzen das Internet zum Kauf von Produkten oder Dienstleistungen. Der Onlineshop der Migros macht bereits einem Umsatz von 150 Mio. Franken. Das sind 15% mehr als im Vorjahr.

Alles wird anders

Das Faszinierende an dieser Entwicklung ist, dass die Zahlen belegen, wie in der Marketingkommunikation alles auf den Kopf gestellt wird. Nicht mehr die Marketingstrategen bestimmen, welche Zielgruppen anvisiert werden – die Konsumenten entscheiden, wo sie sich welche Informationen abholen. Dazu kommt, dass viele dieser Informationen nicht von den Anbietern, sondern von den Kunden selbst ins Internet gestellt werden. Wer Erfahrungsberichte zu einem bestimmten Auto, einem Hotel in einer fremden Stadt oder zu einem Plasma-Fernseher sucht, wird im Internet fündig. Egal, ob diese Kommentare den Anbieter loben oder vernichtend kritisieren, die Informationen können von den Unternehmen  kaum kontrolliert werden. Einmal publiziert, bleiben sie wohl für immer im World Wide Web. Noch nie war die Macht der Konsumenten so umfassend.

Trendwende

Einige Branchen, wie zum Beispiel die Reisebranche, bekommen diese Trendwende bereits heute massiv zu spüren. Die Zeiten, in denen man sich im Reisebüro einen Stapel Prospekte zusammenraffte und diese dann zu Hause eingehend studierte, sind vorbei. Wer Lust verspürt, die Sommerferien zu planen, macht dies unabhängig von irgendwelchen Öffnungszeiten. Man checkt die Preise und Verfügbarkeiten der Flüge, liest Reiseberichte von Leuten, die schon dort waren und amüsiert sich über die Kommentare zum Frühstücksbuffet in den Hotels. Mit Google Street View kann man bei dieser Gelegenheit noch virtuell durch die nähere Umgebung des Ferienhotels spazieren. Entdeckt man dabei ein attraktives Restaurant, lässt sich auch gleich die Menükarte studieren. Für all das braucht es kein Reisebüro.

Internetfiliale und Patientenblog

Die Veränderungen im Konsumverhalten verändern auch das Marketinginstrument Distribution. Die lokale Präsenz mit einem Netz von Filialen verliert in vielen Branchen an Bedeutung. Zwar wird man bei einigen Produkten, die man vor dem Kauf gerne mal in die Hand nimmt, ein Fachgeschäft aufsuchen, der Kauf selbst kann dann aber irgendwo abgeschlossen werden.

Auch andere Berufsleute werden zunehmend von der informierten Kundschaft herausgefordert. So bekommen Ärzte immer häufiger von ihren Patienten die im Internet recherchierte Selbstdiagnose vorgelegt. Selbstverständlich in der Erwartung, dass diese vom Fachmann bestätigt wird. Ärzte, die mit diesen Patienten nicht umgehen können, riskieren einen entsprechenden Eintrag in irgendeinem Patientenblog.

Hat Werbung ausgedient?

Als Inhaber einer Werbeagentur muss ich mich jetzt fragen, ob die Marketingkommunikation bald einmal ausgedient hat. Braucht es in Zukunft überhaupt noch Kommunikations- und Mediastrategien? Gehört die Zukunft den E-Commerce-Informatikern? Die Antwort ist einfach und logisch: Unsere Arbeit ist wichtiger denn je. Der Mensch ist ein emotionales Wesen, und das Konsumverhalten ist kein rationaler Vorgang, bei dem objektiv Preis und Leistung verglichen werden.

Markenpräferenzen sind das Ergebnis von Images und diese werden zum grossen Teil von der Marketingkommunikation geformt. Unbekannte Marken und Produkte ohne erkennbare Vorteile werden auch im Internet nicht angeklickt. Lifestyle-Produkte erhalten erst durch Werbung ihre Produktidentität. Koordinierte und über alle Medien konzertierte Werbekampagnen werden an Bedeutung zunehmen. Im Übrigen werden nicht nur Reisebüros einen Zusatznutzen anbieten müssen, um ihre Kunden zurückzuholen. Und dieser Zusatznutzen muss kommuniziert werden. Was sich ebenfalls für uns Werber verändert hat, sind die Instrumente, die wir einsetzen. Die Klaviatur der Werbemittel ist um einige Tasten breiter geworden. Die Zielgruppen sind gut informiert und anspruchsvoll – auch was die Marketingkommunikation anbelangt.

 

Fredy Obrecht