Einsichten aus dem Dschungelcamp

dschungelcamp_gross

Einsichten aus dem Dschungelcamp

Acht Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer haben sich die RTL-Reality-Show «Ich bin ein Star – holt mich hier raus!» angesehen. Moralische oder voyeuristische Aspekte haben andere bereits ausführlich diskutiert. Mich interessieren die Erkenntnisse, die sich daraus für die Unternehmenskommunikation gewinnen lassen. In meinen Augen ist das Camp ein Labor, das überdeutlich zeigt, was passiert, wenn das Feedback der Öffentlichkeit fehlt respektive das Eigenbild mit dem Image in der Öffentlichkeit nicht übereinstimmt.

Seit 2004 werden jedes Jahr zehn mehr oder weniger bekannte Promis für 14 Tage in ein Freiluftcamp im nordöstlichen Australien geschickt. Die Kandidatinnen und Kandidaten sind völlig von der Aussenwelt abgeschnitten und werden rund um die Uhr von Kameras beobachtet und von Mikrofonen belauscht. Mit dem Satz «Ich bin ein Star – holt mich hier raus!» können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer das Camp jederzeit vorzeitig verlassen. Täglich haben ein oder zwei von ihnen eine Dschungelprüfung zu absolvieren, bei der sie in Kakerlaken baden, tierische Genitalien essen oder ähnlich eklige Prozeduren über sich ergehen lassen müssen. Als Belohnung für mehr oder weniger erfolgreich bestandene Prüfungen gibt es entsprechend üppige oder magere Essensrationen für die Camp-Mitglieder. Ab der zweiten Woche bestimmen die Zuschauer per Telefonvoting, wer das Camp verlassen muss, bis am Schluss nur noch die Dschungelkönigin oder der Dschungelkönig übrigbleibt.

Kampf ums gute Image

Um zu gewinnen, müssen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Sympathie des Publikums erwerben – ohne zu wissen, wie ihr Verhalten beim Zielpublikum ankommt. Gibt es da nicht eine Parallele zu den Unternehmen? Wer weiss eigentlich, wie das «Corporate Behaviour» in der Öffentlichkeit interpretiert wird? Sind die Massnahmen, mit denen für Vertrauen und Sympathie geworben wird, zielführend? Im Dschungelcamp kann es durchaus sein, dass eine Kandidatin in der Gruppe unbeliebt ist und entsprechend behandelt wird, das Publikum sie hingegen als Opfer wahrnimmt. Tränen können Mitgefühl hervorrufen oder als billiges Theater entlarvt werden. Genauso kann Stärke Bewunderung auslösen oder als unsympathisches Macho-Gehabe abgestempelt werden. Je länger das Camp dauert, umso mehr driften die Wahrnehmung des Publikums und die entstehenden sozialen Strukturen zwischen den Teilnehmenden auseinander. Dabei verstärken die eifrig genutzten Social-Media-Plattformen die Etablierung der Publikumsmeinung.

Meinungsbildung

Zwischen dem abgeschotteten Dschungelcamp und der Führungsetage eines Unternehmens oder dem Vorstand eines Verbandes oder einer politischen Partei gibt es durchaus Parallelen. Auch hier kann sich eine Sicht der Dinge durchsetzen, die stark von der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit abweicht. Je höher die Führungselite aufsteigt, umso grösser ist die Gefahr, dass das Management in seinem Elfenbeinturm vom Feedback der Basis abgeschnitten ist. Basis abgeschnitten ist. Unter Gleichgesinnten klopft man sich gerne gegenseitig auf die Schulter und verstärkt so eine untereinander akzeptierte, aber trügerische Meinung, denn über Erfolg oder Misserfolg wird in der Regel an der Basis, sprich im Markt und nicht im Sitzungszimmer entschieden. Leader-Gehabe kann sowohl als Ausdruck von Selbstvertrauen als auch von Überheblichkeit verstanden werden. Wie im Dschungelcamp können Attacken auf den Mitbewerber Mitgefühl mit dem Schwächeren hervorrufen, während Aufklärung und Argumentation gerne als Besserwisserei oder Bevormundung (miss-)verstanden werden.

Den Puls fühlen

Als externe Berater für Unternehmenskommunikation sind wir in der Verantwortung, die Verbindung zwischen dem Unternehmen und seiner Kundenbasis herzustellen oder nicht abreissen zu lassen. Manchmal ist das keine leichte Aufgabe, denn welcher Auftraggeber schätzt es, wenn ihm ein Spiegel vorgehalten wird, der etwas anderes zeigt, als er erwartet. Allerdings hat mich die Erfahrung gelehrt, dass wir Externen so etwas wie kreative Hofnarren sind, die sich die eine oder andere unangenehme Bemerkung erlauben dürfen – wie folgende Frage an einen meiner Kunden: «Bevorzugen Sie Ehrlichkeit oder Höflichkeit? Kostet beides gleich viel.»

Nicht selten ist es sehr aufwendig und kompliziert, ein Feedback von der Basis abzuholen und richtig zu interpretieren. Doch es ist ganz wesentlich, die Verbindung zu den Menschen aufzubauen und zu pflegen, die über den unternehmerischen Erfolg entscheiden. Branche und Situation sind ausschlaggebend, ob ein einfaches Gespräch ausreicht oder eine umfangreiche Markt- und Meinungsforschung notwendig ist. Dagegen empfiehlt sich in jedem Fall eine Überwachung und Bewirtschaftung der Social-Media-Plattformen. Denn im Gegensatz zu Dschungelcampern können sich Führungskräfte nicht einfach mit dem Satz «Ich bin ein Chef – holt mich hier raus!» aus der Verantwortung stehlen.

 

Fredy Obrecht

Erzählte Botschaften

Froschkönig

Erzählte Botschaften

Die Werbung hat das Storytelling entdeckt. Werbebotschaften werden nicht mehr abstrakt reduziert, sondern fein verpackt im Rahmen einer Geschichte erzählt. Kommt also nach «reduce to the max» das «learning by storytelling»? Neuerdings hat jedenfalls jede Werbeagentur neben integrierter Kommunikation und Social Media Management auch Storytelling im Angebot. Nur: die Idee, Botschaften in Form von einer Geschichte zu erzählen, ist nicht neu, sondern eher ein «back to the roots».

Ursprünglich gab es den Werbefilm hierzulande nur im Kino. Vor 50 Jahren bekam dann auch das Schweizer Fernsehen die Erlaubnis, Werbefilme auszustrahlen. In den Anfängen waren Werbefilme in der Regel als kleine Spielfilme aufgebaut und dauerten mehrere Minuten. Zum Beispiel die fleissige Hausfrau und Mutter, die dank Beutelsuppe oder Waschmittel vom Ehegatten gelobt und von den Kindern geliebt wird. Aus heutiger Sicht gibt’s da auch ganz Kurioses, darunter ein Trickfilm, in dem die Flintstone-Figuren Fred Feuerstein und Barney Geröllheimer für Zigaretten werben.

Educational Storytelling mit Struwwelpeter

Die Erkenntnis ist nicht neu, dass Botschaften in einer Geschichte verpackt besser verstanden und erinnert werden können als abstrakte Fakten. Auch die Lebenserfahrungen, aus denen wir bekanntlich lernen, haben wir im Rahmen unserer eigenen Lebensgeschichte gesammelt. Der Struwwelpeter ist eines der erfolgreichsten Kinderbücher der Welt. Das Werk des Frankfurter Arztes Heinrich Hoffmann aus dem Jahr 1845 enthält mehrere Geschichten, die drastisch aufzeigen, mit welchen Folgen die Kinder bei Fehlverhalten zu rechnen haben. Auch die Bibel und die anderen Bücher der Weltreligionen bedienen sich des Storytelling, um ihre Botschaften und Verhaltensanweisungen zu übermitteln. Storytelling birgt aber auch einige Gefahren: Wenn die Geschichte aus dem kulturellen und sozialen Kontext genommen wird oder die Handlung der Geschichte wichtiger wird als ihre Kernbotschaft, kann es sein, dass der Schuss nach hinten losgeht. Missverständnisse und Interpretationsspielraum führen die Leser möglicherweise auf eine falsche Fährte und die eigentliche Botschaft oder «die Moral von der Geschicht», wie Wilhelm Busch zu schreiben pflegte, geht unter. Die Folgen können sehr lange nachwirken wie zum Beispiel bei den Gottes-Botschaften. Seit der Antike streiten sich die Theologen um die richtige Interpretation der Schriften.

Vom Fallbeispiel zum spannenden Abenteuer

Fallbeispiele sind eine mögliche Form des Storytelling. Man erzählt anhand eines realen Beispiels, wie eine schwierige Aufgabe mit einen bestimmten Produkt gelöst wird. Insbesondere bei komplexen Produkten oder Dienstleistungen ist die lebendig erzählte Case-History für die Zielpersonen deutlich attraktiver als das Studium von Tabellen mit Leistungsdaten. Gleichzeitig hat man mit dem Fallbeispiel auch noch eine Referenz publiziert. Im Zeitalter von Internet und Social Media ist das Gegenargument, dass man der Konkurrenz nicht zeigen will, wie man’s richtig macht, längst überholt. Solche Geschäftsgeheimnisse haben heutzutage sowieso eine kurze Lebensdauer.

Si non è vero è ben trovato

Auch gut erzählte Firmengeschichten liefern einen starken Beitrag zur Corporate Identity. Wie langweilig wäre die Apple-Computer-Geschichte, wenn Steve Jobs sein Unternehmen nicht in einer Garage, sondern in einem normalen Büro gegründet hätte? Die Geschichte der gelähmten Margarete Steiff und ihrer Stofftiere schaffte es sogar als Spielfilm in die Kinos. Die meisten Firmengeschichten lassen sich literarisch verwerten, auch wenn sie auf den ersten Blick wenig spektakulär sind. Social-Media-Plattformen sind wie geschaffen, um Firmen- und Produktegeschichten zu erzählen. Allerdings braucht es dazu ein funktionierendes Community-Management. Die Betreuung der Community braucht Branchenwissen, die Fähigkeit strategisch zu denken und zu handeln und das Talent, Gedanken in knappen, lesbaren Sätzen auf den Punkt zu bringen. Diese anspruchsvolle Aufgabe kann nicht einfach an die Informatikabteilung delegiert werden kann. Beispielhaft ist die Twitter-Geschichte mit Ikea, die sich an einem Sonntagabend folgendermassen abspielte:

  • @swissky
    Ich habe grade gesehen, dass der IKEA Schreibtisch nur 50kg tragen kann, wo sollen die anderen ca. 20kg beim Vögeln hin?
  • @IKEA_CH
    Wir kennen deine Partnerin ja nicht. Hätten im Bedarfsfall aber schon Modelle bis 80kg. 😉

Wie hätten Sie als Ikea-Community-Manager auf so einen plumpen Tweet reagiert? Ich finde diese Geschichte beispielhaft, weil da jemand, der dazu verdonnert wurde, Sonntagnacht Facebook und Twitter zu überwachen, die Chance für eine werbewirksame Reaktion genutzt hat. Er thematisiert nicht die anzügliche Botschaft des Absenders, sondern die Produkte und ihre Eigenschaften. Gleichzeitig positioniert er damit das Möbelhaus als kommunikativ, sympathisch und kundennah. Der Tweet wurde übrigens in zahlreichen anderen Medien aufgenommen. Oder ist diese Geschichte etwa von Ikea inszeniert? Wen interessiert’s? Es hat funktioniert!

Die Idee macht die Geschichte

Eigentlich sollte jede Werbeidee eine Geschichte erzählen. Wird das Bild, das mehr als tausend Worte sagt, eingesetzt, so sollten auch diese Bild-Worte eine spannende oder dramatische Geschichte erzählen. Etwas, das sich einprägt. Etwas, das man am Mittagstisch weitererzählt. Die Geschichte muss nicht wahr sein, aber entweder logisch und glaubwürdig oder ganz offensichtlich übertrieben. Geschichten, die zwar unterhalten, aber keinen Bezug zur Botschaft haben, sind lediglich Ballast und in der Werbung unbrauchbar. Übrigens muss eine Geschichte nicht zwingend in der richtigen chronologischen Reihenfolge erzählt werden. Wie ein Krimi mit der Verhaftung des Mörders beginnen kann, darf eine Werbegeschichte mit dem fulminanten Finale das Interesse holen und dann erzählen, wie es dazu kam.

 

Fredy Obrecht

Krieg der Medien

Hund mit Zeitung, Hund mit Tablet

Krieg der Medien

Ob ein Medium erfolgreich ist, entscheidet sich an zwei Fronten: bei den Lesern und Zuschauern sowie in der Werbung. Beide Faktoren sind untrennbar miteinander verbunden. Viel Werbung bringt entsprechend Einnahmen und ermöglicht guten, professionellen Journalismus. Gute Artikel oder Sendungen bringen mehr Leser und Zuschauer. Mehr Leser und Zuschauer bringen mehr Werbung. Leider dreht sich diese Spirale zurzeit eher in die andere Richtung. Die meisten Printmedien verlieren seit einigen Jahren massiv an Leserschaft. In ihrer Not schliessen sie sich mit Konkurrenten zusammen oder die grossen Verlage schlucken die kleinen. Daraus resultieren immer mehr Kopfblätter und Redaktionspools, die zwar die Namen der Regional- und Lokalzeitungen bewahren, aber keine echte Medien- und Meinungsvielfalt bieten. Die Vielfalt in den klassischen Massenmedien ist damit akut gefährdet.

Was heisst das nun für die Werbewirtschaft? Haben die Werbeauftraggeber und Werbeagenturen eine ethische Verantwortung zur Erhaltung der Medienvielfalt oder ist der Tausender-Kontaktpreis die massgebliche Messlatte beim Buchen von Werbung? Ich hoffe, Sie erwarten von mir kein flammendes Plädoyer für den Einkauf von Werberaum nach medienpolitischen Kriterien. Wir sind Werber, keine Verleger und keine Journalisten. Wir machen die Massenmedien nicht, wir nutzen sie. Wenn Werber auf das redaktionelle Konzept eines Mediums direkt Einfluss nehmen würden, wäre das so, wie wenn wir im Restaurant in die Küche marschieren, um dem Koch zu zeigen, wie er kochen soll.

Böses Internet

Die Verleger machen in erster Linie das Internet als Substitutionsmedium für ihre schwindenden Leserzahlen verantwortlich. Das ist zwar einleuchtend, aber nicht mal die halbe Wahrheit. In erster Linie kauft man bei einer Zeitung nämlich nicht das Papier, auf das sie gedruckt wird, sondern die journalistische Leistung. Dass sich das WWW als neuer Informationskanal durchsetzen wird, war seit langem absehbar. Verleger, die sich nun überrascht geben, müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, eine bedeutende Entwicklung in ihrem Markt verschlafen zu haben. Jahrelang haben sie die Einstellung der «digital natives» unterstützt, dass im Internet alles gratis ist. Die Wende zur kostenpflichtigen Information wird kaum innert nützlicher Frist gelingen. Die neue Medienlandschaft aber birgt noch dramatischere Veränderungen: War früher das Internet nur mit einem stationären Computer zugänglich, erfolgen heute bereits mehr als die Hälfte der Internetabfragen von mobilen Geräten wie Smartphones oder Tablets.

Erfolg möglich

Wenn die Weltwoche schreibt, dass der Reaktorunfall in Fukushima nur halb so wild sei, sträuben sich mir als Leser nicht nur die Nackenhaare. Aus Protest Inserate zu sistieren und das Abonnement zu künden, wäre allerdings kurzsichtig und unprofessionell. Wie der Weltwoche-Chef Roger Köppel in einem Interview richtig sagte: «Wir müssen nicht das schreiben, was alle anderen bereits geschrieben haben.» Der Verleger als Unternehmer entscheidet über das redaktionelle Konzept, mit dem er seine Abonnemente verkaufen will.

Es gibt noch weitere interessante Beispiele für erfolgreiche Konzepte. Wenn mir vor 20 Jahren jemand gesagt hätte, der «Blick» werde um seine Existenz kämpfen und das, weil eine Gratiszeitung das seit Jahrzehnten führende Boulevard-Medium vom Thron stürzt, ich hätte ihn ausgelacht. Doch «20 Minuten» hat genau das geschafft, ohne Abonnemente verkaufen zu müssen, einfach nur mit den Werbeeinnahmen. Die Grundlagen des Erfolges liegen in der gut organisierten Distribution mit Regionalausgaben sowie im redaktionellen Konzept, das sich irgendwo zwischen Boulevard und lesefreundlich aufbereiteten Kurznachrichten einreiht. Damit hat «20 Minuten» auch die als Zeitungsleser verloren geglaubte junge Generation zurückerobert. Chapeau!

Protektionismus bremst

Auch das nationale Fernseh- und Radiounternehmen SRG weiss, dass Mac, PC und Smartphone vermehrt den Fernseher im Wohnzimmer ersetzen. Immer mehr Zuschauer machen sich ihr eigenes Programm. Sie schauen unabhängig von den Sendezeiten Fernsehen und suchen nach den Inhalten, die im Moment interessieren. Auch technisch verschmelzen das Fernsehgerät und der Computer zusehends. Ein Fernsehdirektor, der seinen Job macht, kann gar nicht anders, als das Medium Internet in seine Zukunftsstrategie mit einzubeziehen. Doch nun kommt die Politik und setzt Schranken. Das Schweizer Fernsehen darf im Internet lediglich Texte bis maximal 1000 Zeichen ohne Sendungsbezug publizieren. Fremdwerbung darf das SRF im Internet sowieso keine platzieren. Das heisst, das Medienunternehmen SRG muss per Gesetz einen schlechteren Job machen, damit die geplagten Printmedien nicht noch mehr unter Druck kommen. Mir kommt das so vor, als würde man gesetzlich das Telefonieren auf 60 Sekunden pro Anruf beschränken, damit die Briefpost nicht noch mehr Kunden verliert.

Die Geschichte zeigt, dass man fundamentale Veränderungen auf die Dauer nicht aufhalten kann. Natürlich ist es schmerzhaft, wenn das traditionelle Lokalblatt verschwindet. Aber wenn sich ein Markt verändert, sollte das in einer liberalen Wirtschaft akzeptiert werden. Lehnt man diese Veränderungen ab, verhindert man gleichzeitig auch Innovationen.

 

Fredy Obrecht

Lächeln als Kampfkunst?

lachen_gross

Lächeln als Kampfkunst?

Ein Telefoncoach erklärte mir einmal, dass man beim Telefongespräch mit Kunden lächeln soll. «Ist doch absurd», dachte ich. Schliesslich kann mich der Mensch am anderen Ende der Leitung ja nicht sehen. Trotzdem versuchte ich es und war erstaunt, als mein Gesprächspartner fragte, warum ich heute so gut gelaunt sei. Ganz offensichtlich kann man ein Lächeln nicht nur sehen, sondern auch hören oder spüren. Lässt sich diese Erkenntnis auch in der kommerziellen Massenkommunikation einsetzen?

Bei meiner ersten Reise nach Asien schüttete mir ein Kellner die Suppe über die Hose. Anstatt sich beschämt zu entschuldigen, lächelte er mich an und sagte: «No problem, Sir.» Mit dem gleichem Erstaunen stellte ich fest, dass die Asiaten auch harte Preisverhandlungen mit dem Taxifahrer oder Streitereien mit einem Lächeln im Gesicht führen. Wir Mitteleuropäer setzen in diesen Situationen eine verbissene Miene auf, um dem Gegenüber unsere Entschlossenheit zu signalisieren.

Selbstversuch empfohlen

Das asiatische Lächeln wurde mir so erklärt: Solange gelächelt wird, verliert niemand «sein Gesicht». Der Kellner lächelt also nicht, um seine Ungeschicklichkeit zu überspielen, sondern um mich vor öffentlicher Demütigung zu schützen. Wird lächelnd gestritten, kann der Kontrahent leichter auf einen Kompromiss eingehen. Streitet man dagegen mit hochrotem Kopf, bleibt nur Sieg oder Niederlage. Wäre es also in unserem Land der vielen Kulturregionen und Sprachen einfacher, Kompromisse zu schliessen, wenn die Schweizer Politiker mit einem Dauerlächeln herumlaufen würden? Gut, das ist ein anderes Thema, aber ein Selbstversuch lohnt sich in jedem Fall: Führen Sie Ihre nächste Auseinandersetzung mit einem Lächeln. Sie werden staunen, was das bewirkt.

Gute Laune ist Doping

Wir alle haben im Beruf und im Privatleben gerne gut gelaunte Leute um uns. Das macht uns auch um einiges leistungsfähiger, wie folgendes Beispiel zeigt. Die durchwegs mündlichen Briefings bei einem Kunden waren jedes Mal das reine Chaos. Das ständige Hin und Her zwischen relevanter Information und Small Talk verlangte meine volle Konzentration und forderte meine Mitarbeiterin, die den Kontaktrapport verfassen sollte, bis zur totalen Erschöpfung. Trotzdem freuten wir uns auf diese Besprechungen. Warum? Weil der Mann stets bester Laune war. Seine äusserst kreative, freundliche Art schaffte ein Umfeld, in dem jeder offen seine Meinung sagen konnte, ohne dass sich jemand angegriffen fühlte. Und obwohl er viel forderte, war er nie verbissen.

Crèmeschnitte oder Produktfoto?

Mit einem freundlichen Lächeln Werbung machen ist möglich und erst noch erfolgversprechend. An einem Meeting suchten wir gemeinsam mit dem Kunden nach einer Visualisierungsidee für die Darstellung der stabilisierenden Wirkung durch den Einbau von Kunststoffgittern in erdbewehrten Stützkonstruktionen. Die Lösung kam schliesslich vom Kunden: Wir fotografierten eine Crèmeschnitte. Die Blätterteigschichten verleihen der Vanillecrème Stabilität und halten sie am Platz. Genau so funktionieren die Kunststoffgitter.

Gut nachvollziehbar, oder? Stellen Sie sich jetzt vor, Sie wären Tiefbauingenieur und hätten die Prospekte von zwei verschiedenen Anbietern auf dem Tisch. Auf dem einen sehen Sie die Produktabbildung des Kunststoffgitters, auf dem anderen eine Crèmeschnitte. An welchen dieser Prospekte werden Sie sich am nächsten Tag noch erinnern? Und die entscheidende Frage: Mit welchem dieser beiden Anbieter würden Sie sich lieber unterhalten?

Botschaftsverstärker

Eigentlich erstaunlich, dass die alte Erkenntnis «Gute Laune ist ansteckend» nicht öfters und gezielt in der Kommunikation eingesetzt wird. In der Regel wollen die Auftraggeber vor allem als seriös und kompetent wahrgenommen werden. Und im Kampf gegen die Mitbewerber werden gerne Preisvorteil und hervorragende Qualität als Pluspunkte ins Feld geführt. Langweilige Argumente, die kaum das Potenzial haben, den berühmten Funken der Begeisterung überspringen zu lassen. Übrigens ist wissenschaftlich erwiesen, dass Frauen humorvolle Männer sexy finden. Oder aben Sie schon gehört, dass eine Frau sagen würde: «Ich liebe ihn, weil er so wunderbar kompetent, kostenbewusst und seriös ist.»?

Stimmungsaufheller

Lächeln ist nicht gleich lächerlich. In der Kommunikation geht es darum, die Botschaft auf den Punkt zu bringen, relevant zu kommunizieren und möglichst eine Unique Selling Proposition herauszukristallisieren. Entsteht Werbung in einem gut gelaunten Umfeld, ist das auch im Werbemittel spürbar. Die gute Stimmung überträgt sich auf die Zielgruppe und löst Sympathien aus, was beim Kaufentscheid zum ausschlaggebenden Faktor werden kann.

Also, bei der nächsten Besprechung mit Ihrer Werbeagentur setzen Sie einfach mal «lächeln» ganz oben auf die Traktandenliste.

 

Fredy Obrecht

Liebe LeserInnen, Leser/-innen, Leser(innen) und Leser (m/w)

Schild_Bauarbeiten_Frau

Liebe LeserInnen, Leser/-innen, Leser(innen) und Leser (m/w)

Der feministischen Linguistik haben wir ein Problem zu verdanken, das unsere Vorväter und Vormütter nicht gekannt haben. Damals durfte man einfach «Ärzte» schreiben und die Leserinnen und -aussen wussten, dass damit medizinisches Fachpersonal gemeint war, unabhängig vom Geschlecht. Im Gegensatz zu den statischen Regeln der Mathematik ist die Sprache aber etwas Lebendiges, das sich unter dem Einfluss unserer Alltagskultur ständig verändert. Wörter verschwinden, neue kommen hinzu. Zum Beispiel war in meiner Jugend der «Bandsalat» ein allgegenwärtiges Problem – ein Begriff, mit dem die heutige iPod-Generation gar nichts mehr anfangen kann.

Das klassische Rollenverständnis von Mann und Frau hat längst ausgedient. Heutzutage ist es gang und gäbe, dass wir unsere Töchter zu emanzipierten Menschen erziehen und Nähen, Kochen und Säuglingspflege nicht nur weibliche Kompetenzen sind. Logisch, dass sich diese bedeutende Veränderung in der Gesellschaft auch auf die Sprache auswirkt. Nur haben es die Deutsch-Gurus, die im Rat für deutsche Rechtschreibung sitzen, leider versäumt, zusammen mit der neuen deutschen Rechtschreibung auch Regeln für Macho-freie und Feministinnen-konforme Schreibweisen zu erlassen. (Oder habe ich da was verpasst?) Der Bund, die Erziehungsdirektionen und zahlreiche weitere Organisationen formulieren eigene Sprachregelungen, die nicht mit denjenigen im Duden übereinstimmen. Das Ergebnis ist ein Wildwuchs verschiedenster Paarformen und Sparschreibungen. Für jemanden, der die Sprache liebt, ein höchst unbefriedigender Zustand.

Test

Machen wir doch einen kleinen Test. Welche der Schreibweisen erachten Sie unter den unten aufgeführten Möglichkeiten als richtig:

  • Frau Doktor | Doktorin | Doktora
  • Mitglieder | Mitglieder/in | Mitgliederinnen und Mitglieder
  • Anwenderfreundlich | AnwenderInnenfreundlich | Anwendungsfreundlich
  • LehrerInnen | Lehrer/innen | Lehrkräfte | Lehrer- und Lehrerinnen
  • Nationalmannschaft Frauen | Nationalfrauschaft | Nationalteam der Frauen
  • ExpertInnen | Experten/innen | Expertinnen und Experten

Eine rätselhafte Geschichte:

Sohn und Vater erleiden einen schweren Autounfall. Der Vater stirbt noch an der Unfallstelle. Der Sohn kommt schwer verletzt ins Spital und muss sofort operiert werden. Die Fachkraft für Notfallmedizin lehnt die Operation des Patienten mit der Begründung «Das ist mein Sohn» ab. Wie geht das? (Auflösungen am Schluss)

Was Frauen wollen

Werbetexter und -texterinnen sind sowieso die «Enfants terribles» der Sprache. Wenn es hilft, die Botschaft auf den Punkt zu bringen und Aufmerksamkeit zu erzeugen, sind wir bereit, gegen jede Regel zu verstossen. Wenn aber weibliche Zielgruppen erreicht werden sollen, müssen auch linguistische Hasardeure eine Sprache verwenden, die bei den Empfängerinnen der geschriebenen Botschaften gut ankommt. Dazu brauchen wir keine Fachleute für Gleichstellungsfragen. Anstand und gesunder Menschenverstand reichen. Zugegeben, es ist nicht immer einfach, die beste Lösung für eine Paarformel oder eine geschlechtsneutrale Schreibweise zu finden. Aber da in der Schweiz etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung weiblich ist, sollte man den Aufwand in die korrekte Schreibweise nicht scheuen.

Tohuwabohu

Im Alltag findet man die verschiedensten Schreibweisen: Einwohner/-innen, EinwohnerInnen, Einwohner(innen) oder Einwohner (m/w) – und das sind nur einige Beispiele. Während der Leitfaden der Bundesverwaltung verschiedenste Varianten zulässt, sind gemäss Duden nur «Einwohner/-innen» und «Einwohner(innen)» korrekt. Aussprechen lässt sich weder das eine noch das andere. Dabei ist eine Regel, die in meinen Augen Sinn macht und die ich beherzige, dass man alles, was man schreibt, auch genau so aussprechen können soll. Oder würden Sie Ihre Rede beginnen mit «Liebe Mitarbeiter-Schrägstrich-innen» oder einer hörbaren Pause zwischen -arbeiter und  -innen? Die schlimmste aller Varianten ist die Präambel «Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten für beide Geschlechter». Kann man wirklich die Lesbarkeit oder Verständlichkeit oder die Länge eines Textes als Grund anführen, nur die Männer oder nur die Frauen direkt anzusprechen?

Eine Ausnahme soll es allerdings geben: In Formularen und ähnlichen stark strukturierten Texten ist die Schreibweise mit Schrägstrich sinnvoll. Beispiel: «Schüler/-in». Aber auch diese Ausnahme beinhaltet wieder eigene Ausnahmen: «Köch/-in» geht nicht, weil «Köch» ohne das «-in» kein korrektes Wort ergibt. Wohl oder übel muss hier «Koch/Köchin» ins Formular gequetscht werden. Die Schreibweise mit einem Grossbuchstaben wie in «SchülerIn» ist in jedem Fall problematisch, weil das grosse «i» auch als kleines «L» gelesen werden kann.

Kompromisse

Das schwierigste Problem, das ich diesbezüglich je zu lösen hatte, war die Bezeichnung des VSAO. Der «Verband Schweizerischer Assistenz- und Oberärzte» sollte geschlechtsneutral umformuliert werden. Welche Lösung hätten Sie an meiner Stelle vorgeschlagen? Meine Idee, die Organisation in «Verband angestellter Ärztinnen und Ärzte» umzubenennen, fand kein Gehör. Heute heisst der VSAO «Verband Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte». Diese Schreibweise ist zwar korrekt, aber mit zwei «und» und zwei Bindestrichen in nur sieben Worten fast nicht auszusprechen.

Der Hauptmann und seine Hauptfrau

Wann immer möglich, ist eine geschlechtsneutrale Bezeichnung zu wählen, auch wenn Redewendungen wie «Die Kundschaft ist König» noch etwas gewöhnungsbedürftig sind. Die Bezeichnung «der Lieferant» ist ebenfalls nicht geschlechtsneutral, besser wäre «die Lieferfirma». Die Schriftgelehrten wenden allerdings ein, dass diese Schreibweise den Bezug versachlicht, was nicht immer sinnvoll ist. Ein Beispiel: «Der Nationalrat» ist ein Gremium, eine politische Instanz, während «die Nationalrätinnen und -räte» eine Gruppe von Frauen und Männern sind. Die geschlechtsneutrale Version verfälscht somit die Aussage des Textes. Man kann aber auch übers Ziel hinausschiessen: Es gibt weder eine «Kindin» noch «Mitgliederinnen», denn sachliche Bezeichnungen haben, wie es das Wort sachlich schon sagt, kein Geschlecht. Bei Doppelbezeichnungen wie «Kundinnen und Kunden» ist nicht zwingend die weibliche Form voranzustellen. Wichtig ist nur, dass in einem Text immer die gleiche Reihenfolge verwendet wird.

Der Vollständigkeit halber muss auch noch das Militär erwähnt werden. Schliesslich ist dort alles bis aufs Kleinste geregelt. Also, ein weiblicher Soldat ist eine Soldatin und ein weiblicher Hauptmann ist … ein Hauptmann. Die Begründung: Hauptmann ist ein militärischer Grad und damit nicht geschlechtsspezifisch. Frauen sind als Frau Hauptmann anzureden und die Mehrzahl des Dienstgrades lautet Hauptleute.

Ich glaube, wir sind erst am Anfang einer bedeutenden Umgestaltung unserer Sprache. Änderungen im Sprachgebrauch sind gewöhnungsbedürftig und brauchen ihre Zeit. Aber das Bewusstsein für diesen Sprachwandel sollte geschärft werden. Entsprechend müssen wir unsere Texte auf diesen Aspekt hin überprüfen und in jedem einzelnen Fall nach der bestmöglichen Lösung suchen.

 

Fredy Obrecht

 

Auflösung Test:
Unter den vorgeschlagenen Varianten sind nach Duden folgende korrekt:
Doktorin  |  Mitglieder  |  Anwenderfreundlich  |  Lehrkräfte  |  Nationalteam der Frauen  |  Expertinnen und Experten

Auflösung Rätselgeschichte:
Die Fachkraft für Notfallmedizin ist weiblich und die Mutter des Patienten.

Firmenjubiläum: Na und?

jubilaeum_gross

Firmenjubiläum: Na und?

Am 1. Mai 1988 haben wir beim Handelsregisteramt Aarberg die Kollektivgesellschaft Publix Kommunikation, Fredy Obrecht und Yvonne Ulli, eingetragen. Die Werbeagentur Publix – mittlerweile eine Aktiengesellschaft – gibt es folglich seit 25 Jahren. Gemäss Bundesamt für Statistik überleben nur rund 50 % der Unternehmen die ersten fünf Jahre nach der Gründung. Dienstleistungsunternehmen sind besonders anfällig, bereits in der Startphase eine Bruchlandung zu erleiden. Publix gehört somit zur erfolgreichen Hälfte der Überlebenden. Sind diese 25 Jahre nun ein Grund, den Champagner kalt zu stellen? Oder ganz grundsätzlich: Sind Firmenjubiläen im Markt überhaupt relevant oder lediglich Ausdruck von Selbstverliebtheit?

Interessiert es den potenziellen Kunden wirklich, ob ein Anbieter seit fünf, zehn oder fünfundzwanzig Jahren auf dem Markt ist? Bieten ältere Unternehmen ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis? Jungunternehmer, die auf den Markt drängen, sind hungrig und erfrischend frech. Dagegen haben Unternehmen, die es schon Jahrzente gibt, einiges an Erfahrung gesammelt und die internen Strukturen auf Effizienz getrimmt. Sie haben den Beweis geliefert, dass ihr Angebot marktgerecht ist und die Chancen intakt sind, auch in Zukunft noch als Ansprechpartner da zu sein. Unternehmerisches Alter alleine bietet jedoch keine Überlebensgarantie: Die Swissair wurde 71 Jahre nach ihrer Gründung im Jahr 2002 liquidiert. Als die Erb-Gruppe 2003 nach 83 Jahren ihr Leben aushauchte, ging dies als die grösste Firmenpleite der Schweiz in die Geschichte ein.

Folgende Faktoren erhöhen die Chance auf unternehmerisches Überleben:

Eindeutige Identität

Eine eigenständige, unverwechselbare Corporate Identity erleichtert Kunden, Mitarbeitenden und Partnern die Identifikation. Klare Leitlinien sind die Grundlage für eine tragfähige Firmenkultur und erleichtern Entscheidungen in der täglichen Arbeit.

Wachsamkeit

Die technischen, sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verändern sich laufend. Was heute der Renner ist, kann schon morgen zum Ladenhüter verkommen. Neue Produkte können innert kürzester Zeit die einstige Basis des Unternehmens substituieren. Wie zum Beispiel die legendären Polaroid-Kameras, die von der rasanten Entwicklung der digitalen Fotografie vom Markt gefegt wurden. Das Internet und die mobile Kommunikation liefern eine ganz andere Form der Markttransparenz. Und die veränderte Demographie unserer Gesellschaft stellt die Alterspyramide auf den Kopf. Folglich ist es unerlässlich, das eigene Angebot laufend zu überprüfen und den sich verändernden Rahmenbedingungen anzupassen.

Innovation und Vitalität

Die Lebenszyklen von Produkten werden kürzer. Auch erfolgreiche Produkte müssen immer wieder neu erfunden werden. Manager brauchen deshalb Freiräume, um über das Wesentliche nachzudenken. Wer vom Daily Business absorbiert wird, hat nicht die Zeit und die Kraft, neue Ideen zu entwickeln.

Der Spruch «Das haben wir schon immer so gemacht» ist der Anfang vom Ende. Es reicht nicht mehr, die Ideen der Mitbewerber zu kopieren. Sich auf den Preiskampf mit der Konkurrenz einzulassen, ist ruinös und frustrierend. Da ist es besser, etwas Neues zu versuchen und Experimente und Scheitern zuzulassen, um die ausgetretenen Pfade zu verlassen.

Bodenständigkeit

Es gibt aber auch Bereiche, in denen ein konservatives Verhalten der bessere Weg ist, insbesondere bei den Finanzen. Unternehmen mit starken Wurzeln können ein wirtschaftliches Unwetter besser überstehen. Wenn das Wachstum aus der eigenen Kasse finanziert werden kann, reduzieren sich das Risiko und die Abhängigkeit von externen Faktoren wie zum Beispiel den Finanzmärkten.

Ein Paradebeispiel, wie man es machen sollte, liefert die Swatch Group. Innovativ und experimentierfreudig im Angebot, konservativ wie ein Familienunternehmen im Geschäftsgebaren. Eine wichtige Hürde hat die Swatch Group mit Bravour genommen: die Nachfolgeregelung. Insbesondere inhabergeführte KMUs drohen an der fehlenden Nachfolge zu scheitern und nicht immer lässt sich eine familieninterne Regelung finden.

Natürlich freuen wir uns, dass die Werbeagentur Publix AG 25 Jahre im Geschäft ist. Wahrscheinlich haben wir doch einiges richtig gemacht. Und selbstverständlich werden wir am 1. Mai etwas Prickelndes zum Anstossen aus dem Kühlschrank holen. Aber wir sind uns bewusst: ein Anlass zum Zurücklehnen und Herunterfahren ist dieses Jubiläum nicht. Eher das Gegenteil: eine Aufforderung, ebenso hungrig und erfrischend frech zu sein wie vor 25 Jahren. Genau das bieten unsere jungen Konkurrenten auch, aber niemals mit der gleichen ausgewogenen Reife!

 

Fredy Obrecht

Delirium furiosum

Delirium_gross

Delirium Furiosum

Gelegentlich sieht man den Untergang unserer Zivilisation unaufhaltsam näher kommen. Nicht durch Planetenkonstellationen oder Maya-Kalender – das ist Schnee von gestern –, sondern wegen der Handystrahlung, die unser Gehirn kocht, wegen der hoffnungslos verlorenen Jugend, die dank Facebook vereinsamt und durch Videospiele zu Amokläufern mutiert. Und auch diese vermeintliche Tatsache glauben wir, weil wir sie immer und überall zu lesen und zu hören bekommen. Für mich als Werber ist dabei interessant, dass die Menschen immer noch mehr glauben, als wirklich wissen.

Ich geb’s zu, auch ich verwende in meinen Texten hin und wieder die Geschichte von dem ärztlich attestierten Delirium furiosum. 1835 soll das Obermedizinalkollegium in Bayern vor der Geschwindigkeitskrankheit gewarnt haben, die Passagiere und Betrachter von Eisenbahnzügen angeblich befiel, weil dieses neumodische Transportmittel mit atemberaubenden 30 Stundenkilometern durch die Landschaft raste. Die Leute glaubten dieser Warnung, die eigentlich nur ein grandioses Beispiel für Technikfeindlichkeit ist. Nach meinen Recherchen hat diese Geschichte einen Schönheitsfehler: sie ist frei erfunden. Jedenfalls gab es 1835 in Bayern kein Obermedizinalkollegium. Belegt ist dagegen, dass Hitler die Geschichte in seinem Buch «Mein Kampf» als Beispiel für Technikfeindlichkeit anführte.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Radium als Wundermittel angepriesen und Kosmetika, Medikamenten und sogar Lebensmitteln beigegeben. Man dachte, dass die von Antoine Henri Becquerel 1896 entdeckten radioaktiven Eigenschaften des Radiums sicher für alles Mögliche gut seien. Noch 1900 machte der Pharmakonzern Bayer Werbung für Heroin als wirkungsvolles Schmerzmittel ohne grosse Nebenwirkungen. Ein weiteres Paradebeispiel für einen peinlichen Irrtum, der durch ständige Wiederholung zur Wahrheit wird, ist das vermeintlich im Spinat reichlich vorhandene Eisen. 1890 bestimmte der Physiologe Gustav von Bunge den Eisengehalt von 100 Gramm Spinat korrekt mit 35 Milligramm. Allerdings untersuchte er getrockneten Spinat, der zehnmal so viel Eisen enthält wie die gleiche Menge des frischen Krautes.

Die Erkenntnis, dass die Erde keine Scheibe ist, hat sich mittlerweile durchgesetzt. Wie ist das aber mit Darwins Evolutionstheorie? Obwohl wissenschaftlich nicht in Frage gestellt, bevorzugen christliche, muslimische und jüdische Kreationisten die Darstellung eines Gottes, der die Welt so geschaffen hat, wie wir sie heute kennen. Wohl auch in der Hoffnung, dass stetige Wiederholung das kreationistische Weltbild zur Wahrheit werden lässt.

Warum glauben Frauen an Faltencremes und Männer an Haarwuchsmittel? Ganz einfach, weil sie daran glauben wollen. Entgegen der verbreiteten Meinung, dass Werbung neue Bedürfnisse schafft, muss sie nur die bereits vorhandenen Wünsche ansprechen: Erfolg, Prestige, Sicherheit und Wohlstand reichen allemal aus, um alles Mögliche an den Konsumenten zu bringen.

Und wenn man Glück hat, das richtige Motiv anspricht und die Aussage lange genug wiederholt, wird auch die Werbebotschaft zur Glaubensbotschaft und damit Teil der neuen Wahrheit.

Denken ist eine Anstrengung, Glauben ein Komfort. Ludwig Marcuse

 

Fredy Obrecht

Ich weiss, dass ich nichts weiss

Schheinwissen_gross

Ich weiss, dass ich nichts weiss

Börsengurus, Trendscouts und andere Hellseher leben davon, den potenziellen Kunden glaubhaft zu machen, dass sie mehr wissen als gewöhnlich Sterbliche. Dass sie über geheime Erkenntnisse, einzigartige Erfahrungen und übersinnliche Fähigkeiten verfügen. Zentraler Bestandteil des erfolgreichen Trendpropheten-Marketings ist, etwas zu behaupten, das schwer nachzuweisen ist, sich dafür aber umso spektakulärer anhört. Doch die wahren Weisen sind diejenigen, die nicht Scheinwissen von sich geben, sondern Fragen stellen. «Ich weiss, dass ich nichts weiss» wird Sokrates zugeschrieben. Einstein sagte: «Fantasie ist wichtiger als Wissen!» Und Charles Darwin erkannte: «Die Gewissheit ist mehr eine Geburt der Unwissenheit als der Kenntnis.»

Die Unterschiede zwischen dem Marketing-Rockstar Kjell Nordström und der Sternenkundigen Elizabeth Tessier sind marginal. Beide verkaufen sich als Eigenmarke und schaffen es immer wieder, mit spektakulären Prognosen in den Medien zitiert zu werden. Sollte dann das Ereignis nicht wie vorhergesagt eintreffen, liefern sie keine Erklärungen für ihre Missdeutungen, sondern gleich die nächste, ebenso extravagante Voraussage. Idealerweise zielt die neue Prognose 180 Grad in die andere Richtung. Schön verpackt in Statistiken und Schein-Logik ist das zumindest gut gemachte Unterhaltung und die Leute sind sogar bereit, für Vorträge und Bücher zu bezahlen.

Schon seit Urzeiten hat der Mensch das Bedürfnis zu wissen, was auf ihn zu kommt. Unsere Fähigkeit, aus der Vergangenheit zu lernen und so die Zukunft vorauszuahnen, hat die intellektuelle Entwicklung des Homo sapiens ermöglicht. Doch statt mühsam aus Versuch und Irrtum zu lernen, sucht die Menschheit immer wieder nach einer Abkürzung für den Blick in die Zukunft. Wie schön wäre es doch, einfach ein Orakel oder die Sterne befragen, oder die Linien in der Hand oder den Kaffeesatz deuten zu können. Letztere Möglichkeit entfällt allerdings mit Erfindung der Nespresso-Kapseln …

Als moderne, aufgeklärte Zeitgenossen sind wir natürlich resistent gegen solch okkulte Methoden, die Zukunft zu prophezeien. Schliesslich leben wir in einer Informationsgesellschaft. Alles, was wir wissen wollen, haben wir innert Sekunden auf Wikipedia und Co. recherchiert. Unser Problem ist nicht mehr, an die Informationen zu kommen, sondern aus der riesigen Datenmenge den Schrott herauszufiltern.

Damit ist unsere Welt um einiges komplexer geworden. Und weil wir immer noch Menschen sind, die genau gleich funktionieren wie unsere Vorfahren vor hunderttausend Jahren, haben wir auch heute noch das Bedürfnis, zu vereinfachen. Deshalb suchen wir nach Rezepten, die uns in diesem unübersichtlichen Chaos eine Orientierungshilfe geben.

Einfache Lösungen und Scheinwissen sind jedoch gefährlich. Sie vermitteln uns eine trügerische Sicherheit. Unfehlbare Propheten gibt es nicht. Das wissen alle, die ihrem so erfolgreichen Investmentbanker vertraut haben, als er ihnen Wertpapiere von Leeman Brothers empfahl. Auch einen Facebook-Account eröffnen und bewirtschaften zu können, heisst  noch lange nicht, dass wir wissen, wie soziale Beziehungen und Kommunikation zwischen den Menschen funktionieren.

Wir müssen wieder lernen, kritisch zu hinterfragen. Glauben ist gut, wissen ist besser. Unsere Gesellschaft braucht keine mediengeilen Propheten und Claqueure, sondern Menschen, die genau hinschauen und erkennen, dass der Kaiser gar kein edles Gewand trägt, sondern splitterfasernackt durch die Landschaft marschiert. Und wir brauchen vor allem Menschen, die sich getrauen, diese Tatsachen auch auszusprechen.

 

Fredy Obrecht

 

› Zum Wikipeida-Artikel «Des Kaisers neue Kleider»

Auch zu Schandtaten bereit?

schandtaten_gross

Auch zu Schandtaten bereit?

Gibt es Mandate, die man als verantwortungsbewusster Werber ablehnen muss? Eine meist hypothetische Diskussion, die dennoch immer wieder geführt wird. Gemeint ist hier nicht Werbung, die gegen das UWG oder andere gesetzliche Grundlagen verstösst, sondern Werbung, die möglicherweise mit unseren moralischen Grundsätzen kollidiert. Sind wir Werber bereit, uns gegen ein entsprechendes Honorar für alles und jeden zu prostituieren? Ist es notwendig, dass wir uns als Werbeagentur mit allen Botschaften unserer Auftraggeber zu 100% identifizieren können? Einfache Fragen – komplizierte Antworten.

Wir alle wissen, dass Rauchen ungesund ist. Stellen wir uns mal vor, sie bekämen als Inhaber einer Werbeagentur eine Anfrage der Tabakindustrie für eine Raucher-Imagekampagne. So nach dem Motto: «Ich rauche gerne» oder «Rauchen ist Privatsache». Einerseits ist da ein lukrativer Auftrag, andererseits die Gewissheit, dass man der Volksgesundheit keinen Dienst erweist. Wie würden Sie entscheiden?

Anderes Beispiel: Eine Kampagne pro oder kontra den Bau neuer Atomkraftwerke. Könnten Sie für beide Seiten gleich überzeugend argumentieren? Wenn jemand angeklagt wird und vor dem Richter erscheinen muss, so hat er das Recht auf einen professionellen juristischen Beistand. Damit wird gewährleistet, dass die Verteidigung nicht an formellen Fehlern scheitert. Die Verteidigung muss den mutmasslichen Delinquenten nicht mögen und dessen Tat nicht gutheissen. Aber sie hat dafür zu sorgen, dass die Tat auch aus der Sicht des Angeklagten beurteilt wird und die entlastenden Argumente ebenfalls Gehör finden. So ähnlich sehe ich das in der Kommunikation: Wer der Öffentlichkeit etwas mitteilen möchte, hat das Recht auf professionelle Unterstützung, um nicht an formellen Unzulänglichkeiten zu scheitern. Dazu ist es nicht unbedingt erforderlich, dass der Werber die Botschaft in allen Einzelheiten persönlich teilt. Das Recht, eine Botschaft unzensiert kommunizieren zu dürfen, ist einer der Pfeiler einer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft.

Die Herausforderung, eine schwierige, komplexe Botschaft auf den Punkt zu bringen und damit Menschen zu bewegen, ihre Meinung zu ändern oder entsprechend zu handeln, ist für mich viel verlockender als das Honorar. Wenn es gelingt, in einer Abstimmungskampagne die öffentliche Meinung umzukehren, so ist dies das höchste der Gefühle – vergleichbar mit der olympischen Goldmedaille für einen Sportler. Richtig ist in einem solchen Fall auch, dass die Werbeagentur kaum in Erscheinung tritt. Die Lorbeeren gehören dem Absender der Botschaft.

Die SVP-Kampagne mit dem schwarzen Schäfchen ist eine der erfolgreichsten politischen Kampagnen der letzten Jahre. Trotzdem bin ich froh, nicht dafür verantwortlich zu sein. Für mich gibt es auf alle Fälle einige No-Gos. Ich helfe nicht mit, menschenverachtende, politisch extreme oder dubiose Botschaften zu verbreiten.

Mir ist bewusst, dass meine Einstellung zu den moralischen Grenzen eine ganz persönliche ist. Deshalb werden Anfragen, deren Botschaft möglicherweise heikel ist, im Publix-Team diskutiert. Meist führen diese Diskussionen zu einer differenzierten Betrachtungsweise. Zeigt sich in diesem Prozess, dass eine Botschaft es verdient, dass man ihr Gehör verschafft, hat das Publix-Team bereits den wichtigsten Teil der Vorarbeit geleistet: Die Botschaft und somit das Anliegen des Kunden wirklich verstanden.

 

Fredy Obrecht

Alles im Griff?

Alles im Griff?

Gianni ist mir seit vielen Jahren ein guter Freund. Wir sind beide Unternehmer. Trotzdem ist er total anders – zum Glück. Unternehmer brauchen Freunde, die anders sind. Er gehört zum Beispiel zu jenen Leuten, die in den Wald gehen, um Bäume zu umarmen. Obschon ich Bäume mag, würde ich das nie tun, nicht einmal, wenn ich sicher bin, dass mir niemand zusieht. Als aussergewöhnlicher Mensch folgt er eher seiner Intuition als irgendwelchen strategischen Grundsätzen. Gianni Vasari ist übrigens ein erfolgreicher Künstler. Sein Erfolg widerspricht jedoch sämtlichen Grundsätzen des Marketings.

Immer wenn sich seine Fangemeinde mit seinen Werken angefreundet hat und sich ein kommerzieller Erfolg abzeichnet, macht er einfach etwas anderes. Anstelle von Bildern schafft er Skulpturen oder er wechselt von schwarz-weissen Holzschnitten auf grosse Leinwände mit kräftigen Farben. Statt bedürfnisorientiert zu produzieren und endlich Geld zu verdienen, setzt er um, was ihm seine künstlerische Intuition vorgibt. Seine Preispolitik ist ebenso inexistent wie irgendeine Art von administrativem System. Sein Büro ist ein nicht mehr erkennbarer Tisch unter einem Berg von Skizzen, Fotos, Zeitungsausschnitten und Korrespondenz. Er nennt dieses Chaos sein «labiles Gleichgewicht».

Kürzlich bin ich mit ihm nach Zürich gefahren. Wir haben dort ein gemeinsames Projekt für Sozialsponsoring zugunsten von Menschen mit Behinderung. Irgendwann unterwegs fragt er mich: «Und, hast du alles im Griff?» Auf eine solch rhetorische Frage antworte ich grundsätzlich mit «nein», denn nur eine Verneinung liefert weiteren Gesprächsstoff. Giannis Antwort war einmal mehr überraschend: «Das ist gut so, denn wer alles im Griff hat, hat keine Hand mehr frei, um was anderes anzupacken.»

So ist er immer. Mitten im Small Talk macht er unverhofft, ohne Vorankündigung eine hochphilosophische Aussage. Könnte es sein, dass wir in unserem Streben nach Perfektionismus das Wesentliche nicht mehr erkennen und Chancen an uns vorbeiziehen lassen? Stimmt es, dass das Chaos die Quelle der Kreativität ist? Müssen wir wieder lernen, uns mit Kopf und Hand Freiräume zu schaffen, das Unvollkommene zu akzeptieren, damit wir die Gelegenheiten erkennen, die das Leben uns bietet? Sollten wir den Mut zur Unordnung propagieren? Zu diesem Thema habe ich folgendes Zitat gefunden, das Albert Einstein zugeschrieben wird: «Nichts kann existieren ohne Ordnung. Nichts kann entstehen ohne Chaos.» Ich erkenne darin den versöhnlichen Kompromiss. Es ist beruhigend, wenn die Lektorin und die Buchhalterin Perfektionistinnen sind. Die Kreativen hingegen müssen nach den vasarischen und einsteinschen Theorien nicht alles im Griff haben. Es braucht die Unvollkommenheit, das nicht Planbare, die Intuition und die Passion damit Neues, Überraschendes entstehen kann.  Wenn Sie in Ihrer Funktion als Führungskraft mit unternehmerischer Verantwortung das nächste Mal gefragt werden, ob Sie alles im Griff haben, wissen Sie jetzt, warum Sie mit gutem Gewissen «nein» antworten sollten.

 

Fredy Obrecht

 

PS: Wer Gianni Vasari live erleben will, kommt am besten am 16. Juni 2012 um 17 Uhr zur Vernissage in die Gewölbegalerie nach Biel oder sucht sich eine andere Veranstaltung unter www.vasari.ch