Auch zu Schandtaten bereit?
Gibt es Mandate, die man als verantwortungsbewusster Werber ablehnen muss? Eine meist hypothetische Diskussion, die dennoch immer wieder geführt wird. Gemeint ist hier nicht Werbung, die gegen das UWG oder andere gesetzliche Grundlagen verstösst, sondern Werbung, die möglicherweise mit unseren moralischen Grundsätzen kollidiert. Sind wir Werber bereit, uns gegen ein entsprechendes Honorar für alles und jeden zu prostituieren? Ist es notwendig, dass wir uns als Werbeagentur mit allen Botschaften unserer Auftraggeber zu 100% identifizieren können? Einfache Fragen – komplizierte Antworten.
Wir alle wissen, dass Rauchen ungesund ist. Stellen wir uns mal vor, sie bekämen als Inhaber einer Werbeagentur eine Anfrage der Tabakindustrie für eine Raucher-Imagekampagne. So nach dem Motto: «Ich rauche gerne» oder «Rauchen ist Privatsache». Einerseits ist da ein lukrativer Auftrag, andererseits die Gewissheit, dass man der Volksgesundheit keinen Dienst erweist. Wie würden Sie entscheiden?
Anderes Beispiel: Eine Kampagne pro oder kontra den Bau neuer Atomkraftwerke. Könnten Sie für beide Seiten gleich überzeugend argumentieren? Wenn jemand angeklagt wird und vor dem Richter erscheinen muss, so hat er das Recht auf einen professionellen juristischen Beistand. Damit wird gewährleistet, dass die Verteidigung nicht an formellen Fehlern scheitert. Die Verteidigung muss den mutmasslichen Delinquenten nicht mögen und dessen Tat nicht gutheissen. Aber sie hat dafür zu sorgen, dass die Tat auch aus der Sicht des Angeklagten beurteilt wird und die entlastenden Argumente ebenfalls Gehör finden. So ähnlich sehe ich das in der Kommunikation: Wer der Öffentlichkeit etwas mitteilen möchte, hat das Recht auf professionelle Unterstützung, um nicht an formellen Unzulänglichkeiten zu scheitern. Dazu ist es nicht unbedingt erforderlich, dass der Werber die Botschaft in allen Einzelheiten persönlich teilt. Das Recht, eine Botschaft unzensiert kommunizieren zu dürfen, ist einer der Pfeiler einer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft.
Die Herausforderung, eine schwierige, komplexe Botschaft auf den Punkt zu bringen und damit Menschen zu bewegen, ihre Meinung zu ändern oder entsprechend zu handeln, ist für mich viel verlockender als das Honorar. Wenn es gelingt, in einer Abstimmungskampagne die öffentliche Meinung umzukehren, so ist dies das höchste der Gefühle – vergleichbar mit der olympischen Goldmedaille für einen Sportler. Richtig ist in einem solchen Fall auch, dass die Werbeagentur kaum in Erscheinung tritt. Die Lorbeeren gehören dem Absender der Botschaft.
Die SVP-Kampagne mit dem schwarzen Schäfchen ist eine der erfolgreichsten politischen Kampagnen der letzten Jahre. Trotzdem bin ich froh, nicht dafür verantwortlich zu sein. Für mich gibt es auf alle Fälle einige No-Gos. Ich helfe nicht mit, menschenverachtende, politisch extreme oder dubiose Botschaften zu verbreiten.
Mir ist bewusst, dass meine Einstellung zu den moralischen Grenzen eine ganz persönliche ist. Deshalb werden Anfragen, deren Botschaft möglicherweise heikel ist, im Publix-Team diskutiert. Meist führen diese Diskussionen zu einer differenzierten Betrachtungsweise. Zeigt sich in diesem Prozess, dass eine Botschaft es verdient, dass man ihr Gehör verschafft, hat das Publix-Team bereits den wichtigsten Teil der Vorarbeit geleistet: Die Botschaft und somit das Anliegen des Kunden wirklich verstanden.
Fredy Obrecht