Ich hoffe, meine Töchter lernen etwas Anständiges

Briefkasten, bitte keine Werbung

Ich hoffe, meine Töchter lernen etwas Anständiges

In den Umfragen zum Image verschiedener Berufe sind die Werbefachleute regelmässig am untersten Ende der Skala anzutreffen – zusammen mit Versicherungsvertretern und Politikern. Das Ansehen von Gebrauchtwagenhändlern und Liebesdienerinnen wurde zum Glück nicht erhoben, sonst wären sie womöglich auch noch als vertrauenswürdiger taxiert worden als unsereins. Im Gegensatz dazu geniessen Ärzte, Feuerwehrleute und Piloten das höchste Ansehen.

Sind wir Werbefachleute tatsächlich so skrupellos, dass wir für Geld alles machen? Falls dieser Eindruck vorherrscht, dürfen wir uns nicht wundern, wenn unser Prestige entsprechend gering ist. In diesem Fall müsste jedoch auch das Ansehen der Juristen, insbesondere der Strafverteidiger, ebenso angeschlagen sein. Dem ist aber nicht so. Einen wesentlichen Grund für das verzerrte Werber-Image orte ich darin, dass die breite Öffentlichkeit nicht weiss, was wir genau tun. Unsere Schnupperstifte sind enttäuscht, wenn sie feststellen müssen, dass der Art Director statt für ein Shooting in die Karibik zu fliegen, am Bildschirm arbeitet und allenfalls per Mausklick Fotos von Karibikstränden hin und her schiebt. Genauso wenig ist der Kommunikationsleiter für die Gestaltung schöner Plakate zuständig. Aber was macht der Werber dann?

Sündenbock und Prügelknabe

Die Werbung hat den Auftrag, den Auftritt von Firmen und deren Produkte und Dienstleistungen zu inszenieren. Werbung ist in der Öffentlichkeit allgegenwärtig, sie ist der sichtbare, um Aufmerksamkeit heischende Teil unserer Wirtschaftsordnung. Wer laut ruft, wird zur Kenntnis genommen, ist aber noch lange nicht verantwortlich für alles, was in einer halbfreien Marktwirtschaft schiefläuft. Natürlich wollen wir überzeugen und verführen, aber manipulieren? Nein. Wenn ich am frühen Morgen mit leerem Magen an einer Bäckerei vorbeigehe und es nach frischen Gipfeli duftet, ist die Chance gross, dass ich mich verführen lasse. Fiese Manipulation seitens der Bäckerei? Oder mein Fehler, weil ich nicht gefrühstückt habe?

Verführt zu werden ist nicht a priori unethisch. Werbung also auch nicht. Werbung ist da, um zu kommunizieren! Nicht mehr und nicht weniger. Sie ist nicht verantwortlich dafür, dass qualitativ schlechte Produkte angeboten werden. Sie ist nicht verantwortlich für Mogelpackungen, auch nicht für Rabattaktionen und auch nicht für Menschen, die sich kein Frühstück gönnen.

Übrigens gibt es neben der Kommunikation noch andere wichtige Marketinginstrumente, nämlich das Produkt selbst sowie Preis und Distribution. Wer unbedingt jemanden für seine (Kauf-)Handlungen verantwortlich machen möchte, kann zur Abwechslung also mal den Marketingleiter oder den Produktmanager ins Visier nehmen. Wir Werber haben nur den Auftrag, die Botschaft in geeigneter Form zu überbringen.

Gesunde Skepsis tut not

Als meine Tochter im Kindergartenalter war, gingen wir zu McDonald’s und bestellten ein Happy Meal. Die Bedienung fragte, ob wir noch einen Donut wollen. Auf mein Kopfschütteln insistierte die Frau mit Blick auf meine Tochter und dem Argument, die Donuts seien ganz frisch und mit Schokolade überzogen. Darauf mein Töchterchen lautstark: «Gell Papi, die will nur unser Geld.» Irgendwas hatte ich in der Erziehung wohl richtig gemacht und zufrieden dachte ich: «Das gibt einmal eine selbstbewusste, kritische Konsumentin.» Mit stolzgeschwellter Brust verliessen wir das Lokal – ohne Donut.

Ein Jahr später brachte meine Tochter einige Papierbögen bedruckt mit den einfältigen Comicfiguren eines Senf- und Mayonnaise-Herstellers nach Hause, mit denen sie ihre Schulbücher einfassen sollte, was bei mir auf totale Ablehnung stiess. Diese Reaktion wiederum rief das Unverständnis der Lehrerin hervor, die kein Problem darin sah, die Schüler so nebenbei auf irgendwelche Marken zu konditionieren.

Jahre später thematisierte ein Lehrer die Arbeitsbedingungen der Textilindustrie in Bangladesch. Selbstverständlich nicht ohne Kritik an der hiesigen Wirtschaft, die rücksichtslos zu möglichst tiefen Preisen einkaufen will. Eine Woche später wurden die Schüler an einer grossen Schulsportveranstaltung als Hilfspersonal eingeteilt und mussten ein T-Shirt mit dem Sponsorenlogo einer Bank tragen. Meine Tochter hatte die Worte des Lehrers noch gut in Erinnerung und schaute erst einmal nach, woher diese – von der Schule eingekauften – T-Shirts stammten. Sie ahnen es: Made in Bangladesh. Ich hätte gerne das Gesicht des Lehrers gesehen, als meine Tochter nachfragte, wie das denn jetzt so sei mit dem verantwortungsbewussten Einkauf von Textilien.

Wirkung von Werbung hat Grenzen

Werbung ist ein wesentlicher Bestandteil in einer liberalen Wirtschaftsordnung. Jeder Anbieter soll das Recht haben, möglichst unzensiert die Vorzüge seines Angebotes zu kommunizieren. Werbung ist Voraussetzung für Wettbewerb und Wettbewerb ist die Grundlage für bessere Produkte zu fairen Preisen. Werbung ist harmlos, solange sie als Werbung wahrnehmbar ist. Dann sind sogar sechsjährige Kinder in der Lage, die wahren Absichten eines Verkäufers zu erkennen.

Wie alle Freiheiten bringt das Recht auf Werbung für Sender wie Empfänger Verantwortlichkeit mit sich. Niemand erwartet, dass Werbung in jedem Fall objektiv, rein informativ, sachlich und umfassend ist. Werbung ist Kommunikation mit dem Ziel, das Wissen, die Einstellung und das Verhalten der Zielgruppen zu beeinflussen. Die Wirkung von Werbung hat aber auch Grenzen. Wo kein Bedürfnis ist, läuft jede Botschaft ins Leere. Niemand kauft einen Rasenmäher, wenn sich die Gartenarbeit auf Balkonpflanzen beschränkt. Kaum jemand interessiert sich für Kontaktlinsen, ohne fehlsichtig zu sein. Die eigenen individuellen Wünsche und Absichten haben unendlich viel mehr Wirkungskraft als jedes noch so geniale Werbemittel.

 

Fredy Obrecht