Spiel ohne Grenzen

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Spiel ohne Grenzen

Als Werber und Kommunikationsspezialist bin ich lediglich für das Marketing-Instrument «Kommunikation» zuständig. Die übrigen Instrumente Produkt, Preis und Distribution sind vom Werbeberater als gegeben anzusehen und stehen nicht zur Diskussion. So habe ich das zumindest gelernt. Jedoch hat es sich bewährt, zumindest in der Konzeptphase alles und jedes zu hinterfragen. Nur wenn die Bereitschaft besteht jegliche Tabus zu brechen, besteht eine Chance, nicht auf ausgetretenen Pfaden zu marschieren. Nicht, dass ich Lust hätte, die Vollkostenrechnung bei der Preisbildung eines neuen Produktes nachzurechnen. Ich fühle mich auch nicht zum Produktentwickler oder Firmensanierer berufen. Aber allzu oft wird bei der Situationsanalyse deutlich, dass das Kernproblem nicht im Bereich der Kommunikation liegt. Die tollste Werbekampagne macht eine schlechte Marktleistung nicht wett. Als Berater ist es deshalb meine Pflicht, die Auftraggeber auf meine Erkenntnisse aufmerksam zu machen. Selbst dann, wenn dadurch der Auftrag oder gar der Kunde verloren geht. Natürlich lasse ich die Kunden mit dieser Kritik nicht einfach im Regen stehen, sondern versuche im Rahmen meiner Berufserfahrung Lösungsansätze zu liefern – selbst dann, wenn das den Rahmen der Kommunikationsberatung eigentlich sprengt. Ein paar Beispiele:

Eine Modeboutique hatte mich beauftragt, bekannt zu machen, dass neu Hygieneartikel – insbesondere Zahnpasta – zu unschlagbar tiefen Preisen ins Sortiment aufgenommen werden. Ich machte darauf aufmerksam, dass Hygieneartikel zu Discountpreisen die Kompetenz als Modefachgeschäft in Frage stellen könnten. Der Auftrag ging an eine andere Agentur, die Boutique gibt es heute nicht mehr.

Ein spezialisierter Handwerksbetrieb in der Baubranche wollte von mir eine Werbekampagne, um den Bekanntheitsgrad bei den Architekten zu verbessern. Stattdessen schlug ich vor, den Architekten im Internet kostenlos Planungs- und Berechnungstools zum Download zur Verfügung zu stellen. Die Architekten nahmen dieses Hilfsmittel gerne an. Die Folge: Der Bekanntheitsgrad des Betriebes nahm durch das Angebot der Gratis-Tools sogar deutlich mehr zu als jemals für möglich gehalten wurde.

Ein Grosshandelsbetrieb wollte seinen Aussendienst massiv aufstocken und so den Detailhandel intensiver bearbeiten. Meine Aufgabe war zunächst, dem Detailhandel die Neuorganisation des Aussendienstes zu erklären. Gleichzeitig sollte ich ein Stelleninserat kreieren, denn die Suche nach neuen, qualifizierten Aussendienstmitarbeitern erwies sich als überaus schwierig. In der Analyse wurde jedoch deutlich, dass der Aussendienst die Kundenbesuche ohne System und ausschliesslich nach persönlichen Präferenzen ausführte. Mein Vorschlag war daher, den Aussendienst mit klaren Vorgaben auf die Strasse zu schicken und gleichzeitig ein Rapport-System einzuführen. Schon bald konnte das ursprüngliche Projekt inklusive Stelleninserat mit dem Vermerk «überflüssig» gestrichen werden.

Eigentlich ist es ja egal, mit welchen Mitteln ein Problem gelöst wird. Wichtig ist und bleibt, dass jemand eine globale, übergreifende Sichtweise behält und mutig genug ist, das Problem beim Namen zu nennen. Als externe Agentur fällt uns das sicher manchmal leichter als den internen Fachleuten, die stark in die Firmenstrukturen eingebunden sind. Wenn ein Problem aus verschiedenen Positionen betrachtet wird, hat man eher Gewähr, zu neuen, überraschenden Schlussfolgerungen zu gelangen. Daher macht es trotz einer gut ausgebauten internen Marketing-Infrastruktur durchaus Sinn, mit einer externen Kommunikationsagentur zusammen zu arbeiten.

 

Fredy Obrecht